Hannover, Johann-Trollmann-Weg

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familie Trollmann
  • Blick in den Johann-Trollmann-Weg, im Vordergrund die Stolpersteine (Foto: Andreas Pflock)
  • Stolpersteine für drei Mitglieder der Sinti-Familie Trollmann (Foto: Andreas Pflock)
  • Blick in den Johann-Trollmann-Weg, im Vordergrund die Stolpersteine (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familie Trollmann

Beschreibung

In der Gasse Tiefental in der Hannoverschen Altstadt lebte die Sinti-Familie Trollmann. Die Lebens- und Verfolgungsgeschichte von einem der insgesamt neun Kinder, die hier lebten und aufwuchsen, wurde zu einem inzwischen international bekannten Symbol für die Verfolgung und die Ermordung der Sinti und Roma in der NS-Zeit: die Geschichte des Boxers Johann Trollmann. Nach ihm ist auch der schmale Weg benannt, an dessen Stelle sich vor der Bombardierung der Altstadt die Gasse Tiefental und das Wohnhaus der Familie befanden. Sein Talent und seine Karriere im Boxsport führten Johann Trollmann am 9. Juni 1933 zum Meisterschaftskampf im Halbschwergewicht gegen Adolf Witt in der Berliner Bockbrauerei. Nach heftigen Protesten des Publikums über die Wertung auf Unentschieden durch das von NS-Sportfunktionären beeinflusste Kampfgericht wurde er zum deutschen Meister im Halbschwergewicht erklärt. Wenige Tage später wurde ihm der Titel mit der Begründung „zigeunerhaften und undeutschen“ Boxens aberkannt. Johann Trollmann wurde 1942 in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Neuengamme bei Hamburg verschleppt und 1944 im Außenlager Wittenberge ermordet.

Die drei verlegten Stolpersteine wurden zwischen 2008 und 2013 hier verlegt und bestehen aus Betonsteinen mit verankerten ca. 10 x 10 cm großen Messingplatten. Sie tragen folgende mit Schlagbuchstaben eingehämmerten Inschriften:

„Hier wohnte Johann ‚Rukelie‘ Trollmann, JG. 1907, erschlagen 1944 im KZ Außenlager Wittenberge“ (verlegt am 13. Nov. 2008)
„Hier wohnte Heinrich Trollmann gen. Stabeli, JG. 1916, deportiert Auschwitz, ermordet 13.11.1943“ (verlegt am 22. März 2010)
„Hier wohnte Julius ‚Mauso‘ Trollmann, JG. 1910, Arbeitserziehungslager Lahde zum Krüppel geschlagen, überlebt“ (verlegt 12. Juni 2013)

Entstehung

Seit dem Jahr 2007 organisiert die Stadt Hannover zusammen mit partnerschaftlichen Initiativen der Erinnerungskultur die Verlegung von Stolpersteinen. Bislang sind mehr als 400 Orte des Erinnerns an Verfolgte und Ermordete des NS-Regimes in der Stadt entstanden. Die Abteilung Städtische Erinnerungskultur forscht, koordiniert die Ergebnisse und organisiert einmal pro Jahr eine Verlegung neuer Steine.

Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Sie gehen u.a. auf zwei Aktionen zurück, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma standen. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. der Kölner Sinti und Roma im Mai 1940 zeichnete Gunter Demnig 1990 eine Kreidespur von ihren Wohnorten bis zum Sammellager in den Kölner Messehallen.

Am 16. Dezember 1992 verlegte der Künstler vor dem Alten Kölner Rathaus eine Messingplatte im Pflaster. Sie erinnerte an den 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma in das KZ Auschwitz-Birkenau. 1996 verlegte Gunther Demnig die ersten Stolpersteine in Berlin. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder ermordet wurden.

Die Stolpersteine werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Verfolgten in den Gehweg eingelassen. Bis heute erinnern über 100.000 Steine in Deutschland und 30 weiteren europäischen Ländern an Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die Stolpersteine zum größten dezentralen Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltung

Gunther Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1967 studierte er zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Berlin und Kunstpädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Dort legte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern „Bildende Kunst“ und „Werken“ ab. Nach einem Studium „Freie Kunst“ an der Universität Kassel von 1974 bis 1977 arbeitete er zunächst im Bereich der Denkmalsanierung sowie zwischen 1980 und 1985 als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel.

Seit 1985 unterhält er ein Atelier in Köln. Gunter Demnig ist seit 1987 Mitglied im Internationalen Künstlergremium. Dieser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Kritikern setzt sich für Kunst-, Informations- und Pressefreiheit sowie für kulturelle Selbstbestimmung, Toleranz und kulturelle Vielfalt ein. Nach den Aktionen zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma in den Jahren 1990 und 1992 entwarf Gunther Demnig 1993 das Projekt „Stolpersteine“. 1996 fand die erste Steinverlegung in Berlin-Kreuzberg statt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt war und erst später legalisiert wurde.

Für sein Projekt „Stolpersteine“ erhielt Gunther Demnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di, 2006 den Bertini-Preis der Stadt Hamburg und 2011 die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Titel „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Gunther Demnig lebt in Frechen bei Köln.
Internetseite von Gunter Demnig

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Herold, Kathrin/Robel, Yvonne: Zwischen Boxring und Stolperstein – Johann Trollmann in der gegenwärtigen Erinnerung, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 14), Bremen 2012, S. 144-155.
Hesse, Hans: Stolpersteine. Idee, Künstler, Geschichte, Essen 2017.
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt, Köln 2007.
Niedersächsischer Verband Deutscher Sinti e.V. (Hrsg.): Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, Bielefeld 2004.

Stadtarchiv Hannover (Hrsg.): Kurzinformationen zu den Stolpersteinen Johann-Trollmann-Weg, Hannover 2008/2010/2013.

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