Beschreibung
Die Gedenktafel befindet sich auf einer Grünfläche an der Rückseite des Bayreuther Hauptbahnhofs, direkt neben der von der Markgrafenallee/Tunnelstraße abzweigenden Fußgängerunterführung zum Bahnhof, unweit der Bushaltestelle „Hauptbahnhof/Tunnelstraße“. Diese Stelle wurde mit Bedacht ausgewählt: Die Gedenktafel sollte gut sichtbar an einem frequentierten Ort inmitten des städtischen Lebens und ebenso an einem Ort des historischen Geschehens stehen. Die aus Bayreuth DeportiertenDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. mussten diese Stelle auf dem Weg zum Güterbahnhof passieren.
Die auf einem Betonsockel angebrachte Gedenktafel aus Bronze trägt die Inschrift: „Zum Gedenken an die während der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft deportierten und ermordeten Bayreuther Sinti. Stadt Bayreuth“
Im Jahr 2024 wurden Gedenktafel und -sockel in Stand gesetzt und mit einem runden Rosenbeet eingefasst.
Entstehung
Der Anstoß zur Errichtung einer Gedenktafel ging am 13. Juni 1997 vom Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, aus. Anlass dafür war seine Ansprache anlässlich der Einweihung der Büroräume des damals in Bayreuth ansässigen bayerischen Landesverbands Deutscher Sinti und Roma. Zunächst unter Federführung des Verbandsvorsitzenden Egon Siebert, dem wenig später Erich Schneeberger im Amt folgte, griff der Landesverband diesen Gedanken auf, um auf die „in weiten Teilen der Öffentlichkeit“ kaum bekannte Verfolgungsgeschichte der Minderheit aufmerksam zu machen.
Mit dieser Zielsetzung wandte sich der Landesverband an den damaligen Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth, Dieter Mronz, um den Gedenkort in Zusammenarbeit gemeinsam mit der Stadtverwaltung zu realisieren. In der Planungsphase kamen unterschiedliche Orte für die Anbringung oder Platzierung einer Gedenktafel infrage: u.a. in der Nähe des Landratsamts, neben den Treppen der Stiftskirche oder in der Unterführung des Hauptbahnhofs. Letztlich wurde die Grünfläche am rückwärtigen Ausgang des Hauptbahnhofs als stark frequentierter Ort inmitten des öffentlichen Lebens ausgewählt. Zudem konnten von dort aus Bezüge zum nahen Güterbahnhof (dem Abfahrtsort der Deportationszüge) sowie zum unweit gelegenen Standort eines Außenlagers des KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Flossenbürg hergestellt werden. Und nicht zuletzt erhoffte man sich durch die Deutsche Bahn AG als Eigentümerin der Fläche eine zügige Realisierung der Gedenktafel.
Auf Vorschlag des Oberbürgermeisters sprach sich der Ältestenausschuss des Stadtrats am 22. September 1997 einstimmig für die Errichtung eines würdigen Gedenkens an die verfolgten Bayreuther Sinti und Roma aus. Zuvor sollte jedoch eine „notwendige[…] Sachaufklärung“ erfolgen. An dieser historischen Recherche zur Verfolgung von Sinti und Roma in Bayreuth, die sich bis in den August 1999 hinzog, war das Hauptamt der Stadt Bayreuth und maßgeblich der Landesverband beteiligt. Recherchiert wurde u.a. im Stadtarchiv Bayreuth, im Staatsarchiv Bamberg, beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen (heute: Arolsen Archives), im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau und bei Entschädigungsbehörden.
Erschwert wurden die Nachforschungen durch den Umstand, dass die Aufarbeitung der NS-Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma erst ab den 1980er Jahren eingesetzt hatte und große Forschungsdesiderate bestanden. Außerdem waren die Aktenbestände des Bayreuther Einwohnermeldeamtes durch Kriegseinwirkungen zerstört worden. Durch die Recherche konnte immerhin nachgewiesen werden, dass im Jahr 1939 etwa 15 Sinti in Bayreuth gelebt hatten. Von ihnen konnten allerdings nur zwei konkrete Namen belegt werden: Max RoseMax Rose Max Rose war der Sohn von Oskar und Henriette Rose, die seit etwa 1915 als Schausteller und Musiker in Bayreuth ihren festen Wohnsitz hatten. Der ledige Musiker war zuletzt als Hilfsarbeiter in Nürnberg, Ludwig-Feuerbachstraße 20, gemeldet. Er wurde am 15. Juni 1942 von der Kripo Bayreuth verhaftet und kam zuerst als Schutzhäftling ins Konzentrationslager Flossenbürg, dann am 18. Juli 1942 von dort ins Konzentrationslager Ravensbrück. Von Ravensbrück wurde er am 3. November 1942 ins Konzentrationslager Dachau verlegt, wo er nach wenigen Tagen am 18. November 1942 starb. Die Urne mit seiner Asche wurde seinen Eltern in Bayreuth zugesandt und im Stadtfriedhof Bayreuth beigesetzt. (Quelle: https://gedenkbuch.bayreuth.de/opfer/max-rose/) und Wilhelm RoseWilhelm Rose Wilhelm Rose war der Sohn von Oskar und Henriette Rose, die seit etwa 1915 als Schausteller und Musiker in Bayreuth in der Frauengasse 6 ihren festen Wohnsitz hatten. Der geschiedene Arbeiter wohnte zuletzt in Krefeld, Schönwasserstraße 206. Er wurde am 15. Januar 1943 in Krefeld von der Kriminalpolizei verhaftet und dann am 29. Januar 1943 ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Er starb dort am 14. April 1943. Die Urne mit seiner Asche wurde seinen Eltern in Bayreuth zugesandt und im Stadtfriedhof Bayreuth beigesetzt. (Quelle: https://gedenkbuch.bayreuth.de/opfer/wilhelm-rose/), die zuletzt in der Frauengasse gewohnt hatten. Sie wurden 1941 bzw. 1943 festgenommen und später im KZ Dachau ermordet. Die ursprünglich geplante namentliche Nennung der Opfer wurde vor diesem Hintergrund zugunsten einer allgemeinen Formulierung fallen gelassen. Im August 1999 wurde als Enthüllungstermin der 16. Dezember 1999 terminiert.
Ab Ende September 1999 kam es zu kurzzeitigen Verstimmungen zwischen der Stadtverwaltung und dem Landesverband. Die örtliche Polizei hatte bei einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Familien eingreifen müssen, die in einem Presseartikel der „Sinti-Roma-Bewegung“ zugeschrieben wurden. Über diese Berichterstattung beschwerte sich der Landesverband per Leserbrief, indem er auf die unzulässige Nennung der ethnischen Zugehörigkeit der Beteiligten verwies. Außerdem beanstandete er den diffamierenden Begriff „Sinti-Roma-Bewegung“ und verwies auf den Status von Sinti und Roma als anerkannte nationale Minderheit. Die Redaktion gestand den Fehler ein und teilte mit, dass die Polizei ihr den Hinweis auf die ethnische Zugehörigkeit übermittelt habe.
In der nun anschließenden schriftlichen und telefonischen Kommunikation zwischen dem bei der Stadt Bayreuth zuständigen Oberverwaltungsrat und dem Landesverband befand ersterer, dass es doch erlaubt sein müsse, den Artikel im Kontext der Enthüllung der Gedenktafel zu erwähnen und bezeichnete den Vorfall als zeitlich sehr unglücklich gelegen. Die Reaktion des Landesverbands mit seinem Leserbrief deutete er als Überempfindlichkeit und befand, dass dies „nicht die Art [sei] wie wir miteinander umgehen können“. Die auf diese Weise angedeutete Verknüpfung des Vorfalls mit dem Gedenktafelvorhaben wurde vom Landesverband deutlich zurückgewiesen.
Obwohl von Seiten der Stadt der Einweihungstermin für die Gedenktafel weiter bekräftigt wurde, wurde der Landesverband nicht mehr in die weiteren Planungsschritte einbezogen. Am 3. Dezember 1999 wandte sich der Vorsitzende Erich Schneeberger an Oberbürgermeister Mronz und beschwerte sich über fehlende Absprachen, die Einladungskarte, den kurzfristig geänderten Standort und das Programm. Einleitend stellte Erich Schneeberger fest: „Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, über Dritte habe ich Ihre Einladungskarte für die am 16. Dezember 1999 vorgesehene Enthüllung der Gedenktafel für die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft deportierten und ermordeten Bayreuther Sinti zur Kenntnis genommen. […] Dem Termin […] für die Gedenkveranstaltung mit Enthüllung der Gedenktafel an der von der Stadt Bayreuth vorgesehenen Stelle vermag ich daher nicht zuzustimmen.“
Bei einer eilig einberufenen Ortsbegehung am 8. Dezember konnten die Unstimmigkeiten zwischen dem Landesverband und der Stadt ausgeräumt werden, sodass der Enthüllung am 16. Dezember nun nichts mehr im Weg stand. Während der Feierstunde hielten der Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth, Dr. Dieter Mronz, der Zentralratsvorsitzende Romani Rose, der Landesverbands-Vorsitzende Erich Schneeberger und der nunmehr in Bayreuth ansässige Auschwitz-Überlebende Franz Rosenbach Ansprachen. Oberbürgermeister Mronz räumte dabei die Unzulänglichkeit ein, dass eine solche Gedenktafel den Verfolgten nicht gerecht werde. Er sprach von den Schwierigkeiten der Nachforschungen und präsentierte die oben erwähnten Ergebnisse. Dabei ging er auch auf den historischen Bezug des gewählten Enthüllungsdatums ein, als Jahrestag des sog. „Auschwitz-ErlassesAuschwitz-Erlass Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, den sogenannten „Auschwitz-Erlass“, der die familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Wenig später ergingen entsprechende Befehle für Österreich, den Bezirk Białystok, Elsass und Lothringen, Luxemburg, Belgien sowie die Niederlande. Ab Februar 1943 wurden annähernd 23.000 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert, der größte Teil (etwa 10.000 Männer, Frauen und Kinder) stammte aus dem Reichsgebiet.“, sowie die Standortfrage. Außerdem bedankte er sich für die enge Zusammenarbeit mit dem Landesverband.
Erich Schneeberger nahm in seiner Rede Bezug auf die erfolgte Anerkennung von Sinti und Roma als nationale Minderheit durch die Bundesregierung. Außerdem drückte er seine Hoffnung aus, dass in den kommenden Jahren in weiteren deutschen Städten Gedenkorte entstehen mögen. Zuletzt sprach Herr Rosenbach über seine eigenen Erfahrungen während des Holocaust. Er schloss mit den Worten ab: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns, die wenigen Überlebenden des Holocaust, hat es eine wirkliche Befreiung niemals gegeben. Es gibt Erlebnisse und Erinnerungen an jene Zeit, die man nie wieder los wird – die immer wiederkehren in unseren nächtlichen Träumen. Für mich, der ich heute in Bayreuth lebe ist es daher ein ganz besonderes Ereignis, wenn wir heute an diesem Ort eine Gedenktafel für die von den Nationalsozialisten deportierten und ermordeten Bayreuther Sinti enthüllen können.“
In den folgenden Jahrzehnten wurden am Gedenkstein vereinzelte Gedenkveranstaltungen organisiert. Nach dem Ende der Corona-Pandemie fand an 16. Dezember 2023 eine von der Stadtverwaltung organisierte Kranzniederlegung statt. Auf Wunsch des Oberbürgermeisters der Stadt Bayreuth wurde eine Kranzniederlegung am 16. Dezember organisiert. Auf Anregung des Landesverbandes in einem Schreiben an der Oberbürgermeistere Thomas Ebersberger vom 25. März 2024 wurde ein jährliches Gedenken in Bayreuth etabliert. Oberbürgermeister Ebersberger hielt in seinem Antwortschreiben vom Mai 2024 fest: „Es ist wichtig, eine Erinnerungskultur zu schaffen, denn nur so kann verhindert werden, dass sich die Geschichte wiederholt. Um an die Gräueltaten zu erinnern, hat die Stadt Bayreuth 2023 einen Kranz niedergelegt. Diese Tradition wollen wir auch in diesem Jahr und künftig fortsetzen.“
Der Gedenktafel und ihrem Sockel hatten zwischenzeitlich die jahrelangen Witterungseinwirkungen zugesetzt. Darüberhinausgehend waren zunächst eine Telefonzelle und später zwei Streugutbehälter im Bereich vor der Gedenktafel platziert worden. Zur Aufwertung der Gedenktafel im öffentlichen Raum wurden im Frühjahr 2024 die Risse des Betonsockels ausgebessert und ein rundes Beet mit weißen und rosa Rosen als Einfassung um den Gedenkstein angelegt. Zudem wurden die Streugutbehälter entfernt, um die Sichtbarkeit des Gedenksteins zu verbessern.
Gestaltung
Die Metalltafel wurde von der Firma Kupfer Böhner aus Bayreuth angefertigt. Der Betonsockel wurde vom Stadtbauhof Bayreuth errichtet. Die Gestaltung der Roseneinfassung übernahm das Stadtgartenamt.
Quellenangaben
Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte
Archiv Landesverband Deutscher Sinti und Roma Bayern, Nürnberg
Wir danken dem Bayerischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Nürnberg (Erich Schneeberger und Markus Metz) für die Möglichkeit zur Akteneinsicht und die freundliche Unterstützung.