Das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit".-Außenlager befand sich in der GemeindeKommune / Gemeinde Bezeichnung für die kleinste öffentliche Verwaltungseinheit in der Organisation eines Staates. Wolkenburg (heute Gemeinde Wolkenburg-Kaufungen/Große Kreisstadt Limbach-Oberfrohna) auf dem Gelände der ehemaligen „Leipziger Baumwollweberei Wolkenburg“ im Ortsteil links der Mulde. Es war ausschließlich für weibliche Häftlinge bestimmt. Wann genau die ersten Frauen dort eintrafen, lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit ermitteln. Am 21. August kamen in Wolkenburg acht Aufseherinnen aus dem KZ-Ravensbrück an, dem das Außenlager bis zum Monatsende unterstellt war. Spätestens ab dem 22. August 1944 leisteten 147 von 15o Frauen, die zuvor ebenfalls aus Ravensbrück dorthin gebracht worden waren, ZwangsarbeitZwangsarbeit Bezeichnung für die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft ohne oder mit nur sehr geringer Bezahlung. Das nationalsozialistische Deutschland schuf mit insgesamt über 12 Millionen Zwangsarbeiter*innen eines der größten Zwangsarbeitssysteme der Geschichte. Neben Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen wurden Millionen von Zivilisten aus besetzten Staaten Europas größtenteils verschleppt und von der deutschen Industrie als Zwangsarbeiter*innen missbraucht.. Wenige Tage später wurde Wolkenburg am 1. September zusammen mit vier weiteren Außenlagern, in denen Frauen Zwangsarbeit verrichten mussten, dem räumlich näheren KZ Flossenbürg unterstellt.
Insgesamt wurden rund 400 Frauen in das Außenlager Wolkenburg gebracht. Im Wesentlichen trafen diese mit drei Transporten dort ein. Die erste Gruppe bestand aus den bereits erwähnten 150 Frauen aus dem KZ Ravensbrück, bei denen es sich ausschließlich um Sintize und Romnja handelte. Der zweite Transport traf am 10. Oktober 1944 in Wolkenburg ein: 152 Frauen vor allem polnischer oder russischer Nationalität aus dem KZ Auschwitz. Ende November 1944 folgten mit dem dritten großen Transport 100 vornehmlich polnische Frauen aus dem KZ Bergen-Belsen. Vermutlich waren die Frauen verhaftete Zivilistinnen oder Teilnehmerinnen des Warschauer Aufstands, die von Auschwitz nach Bergen-Belsen gebracht worden waren. Alle inhaftierten Frauen hatten zwei Gemeinsamkeiten: Sie hatten das KZ Auschwitz durchlaufen bzw. überlebt und befanden sich überwiegend in einem jungen Alter. Sie waren zwischen 1920 und 1930 geboren worden. Dies war kein Zufall: Die SSSchutzstaffel Die Schutzstaffel (kurz: SS) war 1925 als persönliche Leibwache Hitlers gegründet worden. Den höchsten Dienstgrad innerhalb der SS stellte seit 1934 der „Reichsführer SS“ dar. Bis 1945 nahm Heinrich Himmler diese Position ein. Unter seiner Leitung wurde die SS zu einer Eliteeinheit aufgebaut, die zum zentralen Instrument des staatlichen Terrors wurde. Die SS hatte im Rahmen der „Endlösung“ maßgeblichen Anteil am Völkermord an den europäischen Juden sowie den Sinti und Roma. erhoffte sich von jungen und arbeitsfähigen Gefangenen eine besonders hohe Ausbeutung ihrer Arbeitskraft.
Die Frauen arbeiteten in den Gebäuden der am 9. September 1943 stillgelegten „Leipziger Baumwollweberei Wolkenburg“, in denen eine Fertigungsstelle des Elektro-Unternehmens Opta-Radio AG aus Berlin zum Schutz vor Luftangriffen verlagert worden war. Die Opta AG hatten ihren Ursprung in der arisierten „Radio AG D.S. Loewe“, deren beiden Firmeninhaber aus Nazi-Deutschland fliehen mussten. Die Firma Loewe war 1931 mit dem ersten elektronischen Fernsehempfänger und 1933 mit dem ersten serienreifen Fernseherapparat weltweit bekannt geworden. Die Opta-Radio AG stellte in jener Zeit hauptsächlich kriegswichtige Radargeräte, Funkgeräte sowie elektrische Einrichtungen und Steuerungsteile für die Luftwaffe her. Die Gefangenen wurden in verschiedenen Bereichen der Fabrik als Zwangsarbeiterinnen eingesetzt und dabei von deutschen Zivilangestellten und den SS-Aufseherinnen überwacht.
Lebensbedingungen
Die Frauen wurden in Räumen in der oberen Etage eines vierstöckigen Gebäudes direkt auf dem Firmengelände untergebracht, dem „unteren Hochbau“. Dieser befand sich zwischen dem „oberen Hochbau“, der direkt an der Hauptstraße gelegen war, und dem Flachbau, in dem sich die Weberei befunden hatte. In einem Raum waren jeweils etwa 30 Frauen untergebracht. Die Betten bestanden aus dreistöckigen Pritschen, auf deren Brettern Strohsäcke lagen. Da die Schlafplätze nicht ausreichten, mussten sich die Frauen zu mehreren die engen Betten teilen. Die Bewachung des Außenlagers oblag fünf SS-Männern und 20 SS-Aufseherinnen, darunter eine Oberaufseherin. Kommandoführer war der SS-Oberscharführer Wilhelm Brusch. Um Fluchtversuche zu verhindern waren die Fenster der Häftlingsunterkunft vergittert und das Gebäude von einer hohen Mauer mit Stacheldraht umgeben.
Auch wenn im Vergleich zu anderen Konzentrationslagern gezielte Tötungsdelikte durch die SS nicht dokumentiert sind, waren die Lebensbedingungen von Mangelernährung geprägt. Die Tagesration bestand aus einem schwarzen, ungesüßten Kaffee am Morgen, einem Liter wässriger Suppe zum Mittag und etwa 250g schwarzem Brot mit einem Stück Margarine oder Marmelade am Abend. Oft jedoch bekamen die Frauen sogar noch weniger. Dadurch litten sie unter ständigem Hunger. Zudem war die Qualität des Trinkwassers miserabel. Hinzu kamen die harten Arbeitsbedingungen: zwölf Stunden Zwangsarbeit an sechs Tagen der Woche. Zwischen den Schichten und am Sonntag mussten die Gefangenen zudem häufig noch für Ordnung im Lager sorgen oder Strafe stehen. Nur etwa sechs Stunden am Tag konnten sie schlafen und sich ausruhen.
Geschwächt durch den Mangel an Nahrung und gutem Trinkwasser sowie die harte Arbeit, wurden die Frauen wegen kleinster Vergehen oder Fehlern bei der Arbeit hart bestraft. So mussten sie am 26. Februar 1945 drei Stunden in Sommerkleidung im Freien stehen, weil sie sich über die Verteilung des Essens beschwert hatten. Bei Fluchtversuchen oder dem „Diebstahl“ von Lebensmitteln wurden die Gefangenen zur Strafe in Arrestzellen gesperrt. Wegen kleinster Vergehen wurden sie misshandelt und geschlagen. Aus Fehlern bei der Arbeit entstand schnell der folgenschwere Vorwurf der „Sabotage“, obwohl meist nur Erschöpfung oder die fehlende Qualifikation der Frauen für die von ihnen auszuführende Arbeit dafür verantwortlich waren. „Sabotage“ konnte mit dem Tod bestraft werden, in Wolkenburg scheint dies jedoch nicht vorgekommen zu sein. Schikaniert wurden die Frauen zusätzlich mit langen Appellen, bei denen sie stundenlang schutzlos der herrschenden Witterung ausgesetzt waren. Die damals 16-jährige Anna Mettbach erinnerte sich:
„Wie gehabt, hatten wir um halb fünf zum Zählappell anzutreten, und danach ging es zur Zwangsarbeit. […] Wir mussten Kleinteile in Funkgeräte einbauen. Wir hatten die Arbeit zu machen, obwohl dafür eigentlich eine Lehre notwendig gewesen wäre. Die kleinen Teile waren mit bloßem Auge nicht zu montieren, und um den Ausschuss so gering wie möglich zu halten, gaben sie uns Lupen. Der erste Arbeitsschritt war, die Teile einzusetzen, der zweite, die Teile zu verlöten, und danach wurde alles überprüft. Den, der die Prüfung vornahm, werde ich nie vergessen können. Vor meinen inneren Augen sehe ich seine stechenden Augen. Dieser unerbittliche Mann prüfte alles nach. Seine schwarzen Stiefel waren eine Spezialanfertigung. Sein Arbeitskittel reichte bis zu den Knien, seine Haare waren extrem kurz geschnitten, und wenn ich heute einen Mann mit dieser Ausstrahlung sehe, vermeide ich jegliche Begegnung mit ihm. Weil wir Ungelernte waren, gab es Fehler. Wir konnten doch nichts dafür, wir wollten keine Fehler vorsätzlich machen. Wir waren doch geschunden genug. Jeder Fehler wurde gnadenlos bestraft, aber nicht etwa der Einzelne, sondern alle die an diesem Teil mitgewirkt hatten. Meistens mussten wir dann nach dem Zählappell noch eine oder zwei Stunden strammstehen, oder wir erhielten kein Essen. Wie gesagt, Fehler wurden von uns immer wieder gemacht, und die Aufseherin Ilse stand dann immer mit gespreizten Beinen, den Kopf wie ein Gickelhahn nach oben gereckt, vor uns und sagte: ‚Ihr seid Saboteure.‘"
(aus: Anna Mettbach: Wer wird die nächste sein?, S. 48f. )
Im Außenlager Wolkenburg sind mindestens sieben Todesfälle nachweisbar. Johanna Anton, Traute Franz geb. Anton, Wladislawa Prydzielsko, Alma Morgenstern, Ursula Bruschinski, Erna Kreutz und Genowefa Ladynska (auch als Ierowesa Waschinska benannt) starben infolge der wissentlich herbeigeführten menschenunwürdigen Lebensbedingungen an Tuberkulose, Lungenentzündungen oder Grippe. Gezielte Tötungsdelikte durch die SS können in Wolkenburg nicht nachgewiesen werden.
EvakuierungsmarschTodesmarsch Bezeichnung für die von der SS in den letzten Monaten vor Kriegsende veranlassten Zwangsmärsche und Zwangstransporte von KZ-Häftlingen in weiter von der Front entfernte Konzentrationslager. Viele Gefangene starben während dieser Transporte und Gewaltmärsche an Entkräftung oder wurden von den Wachmannschaften an der Wegstrecke erschossen.
Am 13. April 1945 wurde das Außenlager frühmorgens geräumt, da sich US-amerikanische Truppen näherten und schließlich Wolkenburg noch am selben Tag gegen 16 Uhr befreiten. Die SS hatte beschlossen, die Frauen nicht in das bereits überfüllte KZ Flossenbürg zu bringen, sondern in das mehr als doppelt so weit entfernte Lager Dachau. Auf dem sogenannten Evakuierungsmarsch per Bahn und zu Fuß befanden sich etwa 372 Frauen. Mehrere Luftangriffe schufen für sie Möglichkeiten, in dem herrschenden Chaos eine Flucht zu wagen. Zunächst konnten bei einem Luftangriff in Weiden mehrere Frauen entkommen. Bei Irrenlohe wurde die Gruppe durch amerikanische Tieffliegerangriffe sogar zu einem mehrtägigen Aufenthalt gezwungen. Dabei wagten erneut einige Frauen die Flucht und versuchten, sich Nahrung zu besorgen. Einige von ihnen wurden jedoch aufgegriffen. Ein spontan einberufenes Standgericht verurteilte am 20. April 1945 drei Sintize und Romnja sowie am 21. April zwei Polinnen zum Tode. Die fünf Frauen wurden nach den Urteilssprüchen exekutiert. Ihre Gräber konnten bis heute nicht gefunden werden. Auch ihre genaue Identität konnte nicht geklärt werden. Am 27. April erreichten von ursprünglich 372 Frauen noch 116 das KonzentrationslagerKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Dachau, wo sie zwei Tage später die Befreiung durch US-amerikanischen Truppen erlebten.
Sintize und Romnja in Wolkenburg
Die 150 Sintize und Romnja bildeten mit über einem Drittel der Insassen des Außenlagers eine relativ große Gruppe. Wie bereits erwähnt, hatte die SS sie mit dem ersten Transport nach Wolkenburg transportiert, der ausschließlich aus Angehörigen der Minderheit bestand. Alle Frauen waren zuvor in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert worden. 65 gelangten mit den ab Frühjahr 1943 einsetzenden Deportationen nach Auschwitz, mindestens 13 bereits zu einem früheren Zeitpunkt. Von Letzteren sind Fotoaufnahmen erhalten geblieben, die der sogenannte Erkennungsdienst bei ihrer Einlieferung in Auschwitz angefertigt hat. 21 Frauen waren mit einer DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. aus den Niederlanden im Mai 1944 nach Auschwitz gelangt (Flossenbürg-Nummern 50090 bis 50110). 51, vor allem aus Ostpreußen stammende Sintize und Romnja, waren ab Februar 1942 über Bialystok und Brest-Litowsk nach Auschwitz deportiert worden, wo sie am 16. April 1944 registriert wurden. Sie alle wurden gemeinsam mit insgesamt rund 1.400 Sinti und Roma als Arbeitskräfte am 2. August 1944 aus Auschwitz-Birkenau abtransportiert – wenige Stunden vor der Ermordung aller dort noch verbliebenen Sinti und Roma. Während die Männer in das KZ Buchenwald gebracht wurden, trafen die Frauen vermutlich am 3. August im KZ Ravensbrück ein.
Bei zwei dokumentierten Rücküberstellungen wurden Sintize und Romnja von Wolkenburg wieder nach Ravensbrück gebracht, vermutlich weil sie krank oder aus Sicht der SS für die zu verrichtenden Arbeiten ungeeignet erschienen: am 13. Oktober 1944 fünf Frauen sowie kurz vor dem Jahresende am 29. Dezember weitere sechszehn.
Sechs der sieben im Außenlager verstorbenen Frauen gehörten zur Gruppe der Sintize und Romnja. Am 13. Oktober 1944 starben die Schwestern Johanna Anton und Traute Franz geb. Anton. Ob die für beide angegebene Todesursache „Lungentuberkulose“ und auch das Datum der Wahrheit entsprachen, lässt sich nicht verbindlich verifizieren. Sie waren die ersten Todesopfer des Außenlagers. Ihre Urnen wurden auf dem Städtischen Friedhof in Chemnitz Abt. 64b/232 an der Reichenhainer Straße beigesetzt. Am 15. Februar 1945 starb Wladislawa Przydzielsko (offiziell an Lungentuberkulose) im Alter von 24 Jahren. Sie wurde auf dem Friedhof in Wolkenburg beigesetzt. Einen Monat später starb die 19-jährige Alma Morgenstern am 15. März. Als Todesursache wurde eine „Lungenentzündung“ dokumentiert. Der Historiker Pascal Cziborra, dessen Recherchen und Auswertungen umfassende Details zur Gruppe der Sintize und Romnja zu verdanken sind, nimmt an, dass der Todesfall mit einem Strafappel in eisiger Winterkälte in Verbindung stehen könnte, bei dem eine SS-Aufseherin Gefangene mit kaltem Wasser übergoss. Auch der folgende und somit fünfte Todesfall könnte mit den Folgen der Strafmaßnahme in Verbindung stehen: Ursula Bruschinski starb im Alter von gerade einmal 17 Jahren an „Grippe-Durchfall“. Sie wurde, wie zuvor auch Alma Morgenstern, neben der Kapelle auf dem örtlichen Friedhof bestattet. Am 3. April starb die gebürtige Mainzerin Erna Kreuz im Alter von nur 16 Jahren an „Lungen-Tuberkulose“. Auch sie wurde auf dem Wolkenburger Friedhof – an der Friedhofsmauer – beigesetzt. Zwei Grabsteine auf dem Friedhof in Wolkenburg erinnern heute an die dort beigesetzten Todesopfer.
Am 4. September 1944, unmittelbar nach der Eröffnung des Lagers, ereignete sich die einzig überlieferte Flucht. Der 20-jährigen Rosa Frost und der 19 Jahre alten Marie Fröhlich gelang es, von der Bewachung unbemerkt zu entkommen. Während die Gefangenen dafür kollektiv mit Essensentzug und einem stundenlangen Appell bestraft wurden, verlief die Flucht nur wenige Tage erfolgreich. Die beiden jungen Frauen wurden aufgegriffen und am 30. Oktober wieder nach Wolkenburg zurückgebracht. Über Marie Fröhlich sind keine Informationen bekannt. Rosa Frost hingegen schilderte in einem kurzen Nachkriegsbericht:
„Nach 14 Tagen trieb mich die Sehnsucht nach meinem Kind aus dem Lager. Zum II. Stock stieg ich aus dem Fenster auf das Dach des Hauses und ließ mich an einer Dachrinne herunter. Dieses Mal kam ich aber nur bis nach Zwickau. Meine auffälligen Kleider verrieten mich und ich wurde wieder verhaftet. Nach einem sechswöchigen Aufenthalt in Zwickau brachte man mich wieder in das Lager Wolkenburg zurück. Sofort schnitt man mir wieder eine Glatze und schlug mich furchtbar. Man hatte Häftlinge beauftragt, die mich schlagen sollten, andernfalls diese kein Essen bekämen und selbst Prügel erhielten. Die Aufseherin, die das ganze Lager unter sich hatte, ging mit einer Eisenstange auf mich los. Ich konnte gerade noch ausweichen, um den Schlag auf meinen Kopf abzuwehren, der unbedingt tödlich gewesen wäre. Dafür traf sie aber meinen Arm, den sie durch diesen Schlag brach und mehrmals splitterte. Noch heute habe ich mit dem verkrüppelten Arm schwer zu schaffen. Mit dem gebrochenen Arm steckte man mich ohne Pflege in den Steh-Bunker. Sämtliche Kleider hatte man mir ausgezogen. So stand ich 8 Tage darinnen!!! Das sollte aber nicht die Strafe sein, denn die kam erst nach drei Wochen vom Lager Flossenbürg. Die Strafe lautete auf: 25 [Prügelstrafe mit 25 Hieben].“
Quellenangaben
Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Tatorte
Arolsen Archives: Personenbezogene Haftdokumente zu den nach Wolkenburg deportierten Sintize und Romnja
Stadtarchiv München: POL-828 Rosa Frost
Aas, Norbert: Sinti und Roma im KZ Flossenbürg und in seinen Außenlagern Wolkenburg und Zwodau, Bayreuth 2001
Cziborra, Pascal: KZ Wolkenburg. TodesmarschTodesmarsch Bezeichnung für die von der SS in den letzten Monaten vor Kriegsende veranlassten Zwangsmärsche und Zwangstransporte von KZ-Häftlingen in weiter von der Front entfernte Konzentrationslager. Viele Gefangene starben während dieser Transporte und Gewaltmärsche an Entkräftung oder wurden von den Wachmannschaften an der Wegstrecke erschossen. nach Dachau, Bielefeld 2018
Eiber, Ludwig: „Ich wußte, es wird schlimm.“ Die Verfolgung der Sinti und Roma in München 1933-1945, München 1993
Fritz, Ulrich: Wolkenburg, in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 4, München 2006, S. 270-272
Mettbach, Anna/Behringer, Josef: Wer wird die nächste sein? Die Leidensgeschichte einer Sintezza, die Auschwitz überlebte, Frankfurt/Main 1999
Wir danken Pascal Cziborra für seine wertvolle und akribische historische Recherche, die als Stütze dieser Darstellung diente, sowie Dr. Bettina Pfotenhauer vom Stadtarchiv München für die Zurverfügungstellung des Berichts von Rosa Frost.