Bernau bei Berlin, Bahnhofsplatz

Gedenktafel für die deportierten und ermordeten Bernauer Sinti
  • Detailaufnahme der Bodentafel (Foto: Bernau LIVE)
  • Ansprache von Petra Rosenberg vor dem Denkmal für die Opfer des Faschismus (Foto: Bernau LIVE)
  • Gedenktafel nach der öffentlichen Blumenniederlegung (Foto: Bernau LIVE)
  • Ansprache von Bürgermeister André Stahl bei der Einweihungsfeier (Foto: Bernau LIVE)
  • Enthüllung der Tafel durch Petra Rosenberg, Landesverband der Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V., und Bürgermeister André Stahl (Foto: Bernau bei Berlin)

Kurzinformation

Gedenktafel für die deportierten und ermordeten Bernauer Sinti

Beschreibung

Die Gedenktafel befindet sich in der Mitte des Bahnhofsplatzes. Sie wurde ebenerdig unmittelbar vor dem 1949 eingeweihten und zwischen 2009 und 2013 restaurierten „Ehrenmal für die Opfer des Faschismus“ verlegt. Die Tafel ist den einst in Bernau lebenden Sinti gewidmet und trägt folgende Inschrift: „Die Stadt Bernau erinnert und gedenkt der Sinti, die in der Nähe des Bahnhofs wohnten. Kinder, Frauen, Männer wurden infolge der rassistischen IdeologieIdeologie Ideologie stammt vom griechischen Wort „ideologia“ und bedeutet auf Deutsch „Ideenlehre“. Mit Ideologie bezeichnet man bestimmte politische Ideen (z.B. Sozialismus, Marxismus, Kommunismus, Konservatismus oder Liberalismus). Ideologien sind nicht richtig oder falsch, sondern spiegeln bestimmte Wertvorstellungen wider. Wer eine Ideologie vertritt, zeigt, dass sie oder er mit den Vorstellungen, mit den Werten dieser Idee einverstanden ist und diese auch in der Politik umsetzen möchte. Gefährlich werden Ideologien dann, wenn nur mehr eine einzige erlaubt ist und alle Menschen, die andere Ideologien vertreten oder sich für diese einsetzen, daran gehindert oder verfolgt werden. Dies war zum Beispiel in Diktaturen wie dem Nationalsozialismus der Fall. und Politik der Nationalsozialisten am 8. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert.“

Entstehung

Auslöser für die Schaffung eines Erinnerungszeichens für die Bernauer Sinti war die öffentliche Präsentation des vom Bernauer Soziologen Dieter Korczak verfassten Buches „Sinti und Roma in der Stadt Bernau bei Berlin“ im Januar 2019. Bereits am 14. Februar 2019 verabschiedeten die Fraktionen von DIE LINKE, SPD/Freie Fraktion und Bündnis 90/GRÜNE einen Antrag an die Stadtverordnetenversammlung für eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Bernauer Sinti. In der Begründung hieß es: „Die Bernauer Sinti und Roma gibt es nicht mehr. Sie sind Opfer der faschistischen Rassenideologie geworden. […] Eine Gedenktafel am Bahnhofsplatz soll ein sichtbares Zeichen sein dafür, dass wir diese Menschen nicht vergessen. Dies ist eine Vervollständigung der Erinnerungskultur in unserer Stadt und zeigt, dass wir uns unserer Verantwortung für ein gedeihliches Miteinander in unserer Stadt bewusst sind.“

Drei Monate später, am 4. April 2019, wurde der Antrag in der 48. Sitzung des Hauptausschusses der Stadtverordnetenversammlung einstimmig angenommen. Eine unmittelbare Realisierung des Antragsvorhabens blieb jedoch aus unterschiedlichen Gründen für die folgenden 2 ½ Jahre aus. Dieter Korczak blieb in dieser Zeit eine treibende Kraft hinter dem Vorhaben und hakte regelmäßig bei der Stadtverwaltung zum Bearbeitungszustand und Zeitplan der Umsetzung nach. Regelmäßig erhielt er die Antwort, dass der Vorgang noch in Bearbeitung sei. Im November 2021 brachte eine erneute Anfrage seinerseits die Prozesse ins Rollen. Darin schrieb Dieter Korczak: „Mir wurde regelmäßig mitgeteilt, dass der Auftrag in Bearbeitung ist. Da 2 ½ Jahre ein außerordentlich langer Zeitraum für die Bearbeitung dieses Beschlusses sind, möchte ich jetzt über den aktuellen Stand der Bearbeitung und über Umsetzungstermine informiert werden. Ist jetzt ein definitiver Standort für die Gedenktafel gefunden und bestimmt worden? Wenn ja, wo genau ist dieser Standort? Wenn nein, warum ist es bis jetzt nicht gelungen, einen Standort auszuwählen?“

Weil die Sinti-Familien im unmittelbaren Umfeld des Bahnhofs gelebt hatten und andererseits ein Großteil von ihnen vom Bahnhof aus nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden war, wurden zwei Anbringungsorte favorisiert. Einerseits das an den Bahnhofsplatz grenzende Fahrradparkhaus als das nächstliegende städtische Gebäude zum letzten Wohn- und Lebensort der meisten Sinti-Familien vor ihrer DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet.. Anderseits das direkte Umfeld des Denkmals für die Opfer des Faschismus (OdF) auf dem Bahnhofsplatz, welches sich als öffentlicher Erinnerungsort seit Jahrzehnten etabliert hatte. Da das Denkmal selbst aus denkmalpflegerischen Gründen unberührt bleiben musste, konnte die Gedenktafel nur auf der Bodenfläche davor angebrachte werden.

Am 4. März 2022 teilte die Untere Denkmalschutzbehörde dem Bernauer Kulturamt hinsichtlich der Standortfrage mit: „Aus denkmalpflegerischer Sicht wird die Einlassung der Tafel im Boden in der näheren Umgebung des OdF-Denkmals favorisiert. Durch die Materialität und die Lage der neuen Tafel wird der inhaltliche Bezug zum OdF-Denkmal deutlich, ohne dass dessen Bedeutung verfälscht, dessen Eigenständigkeit in Frage gestellt oder dessen Erscheinungsbild beeinträchtigt wird. Wir sind einvernehmlich der Auffassung, dass es sich dabei um einen würdigen Standort für die Gedenktafel handelt.“

Im April 2022 erreichte die Stadtverordnetenversammlung ein erneuter Antrag zur genauen Standortwahl der geplanten Gedenktafel. Am 5. Mai wurde darüber in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend, Kultur, Soziales und Sport beraten. Vorausgegangen war zudem, dass sich Dieter Korczak in der Bürgersprechstunde nachdrücklich gegen den Standort am Fahrradparkhaus ausgesprochen und auch den geplanten Text kritisierte hatte, da hierin keine namentliche Nennung der Opfer vorgesehen war. Vor diesem Hintergrund beschloss die Stadtverordnetensammlung erneut einstimmig die Anbringung der Tafel im Umfeld des OdF-Denkmals. Die weitere inhaltliche Gestaltung der Tafel erfolgte in engem Zusammenwirken der Bernauer Verwaltung mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V.

Die feierliche Enthüllung der Gedenktafel erfolgte schließlich nach weiterer Planung, Gestaltung und Fertigung rund ein Jahr später am 16. Mai 2023 in Anwesenheit von Petra Rosenberg, der Vorsitzenden des Landesverbandes der Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, dem brandenburgischen Kultur- und Wissenschaftsstaatssekretär Tobias Dünow sowie weiteren politischen Vertreter*innen und zahlreichen Bernauer*innen. Der Tag war bewusst gewählt worden, um an den Widerstand der Sinti und Roma am 16. Mai 1944 im KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz-Birkenau zu erinnern. Tobias Dünow betonte in seiner Ansprache: „Lange Zeit ist der VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma in unserer Erinnerungskultur vergessen, verdrängt, verleugnet worden. Das ändert sich endlich, wenn auch viel zu langsam. Ich bin der Stadt Bernau, dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V. und den Bernauer Bürgerinnen und Bürgern für ihren gemeinsamen Einsatz zur Erinnerung an die vom NS-RegimeRegime Meist abwertende Bezeichnung für eine Herrschafts- oder Regierungsform. verfemten, verfolgten und ermordeten Sinti in Bernau außerordentlich dankbar. Dass solche Gedenkorte nach wie vor bundesweit kaum zu finden sind, ist – wie ich finde – ein Skandal. Der Gedenkort im Zentrum von Bernau erinnert nicht nur eindrücklich an die NS-Verbrechen an Sinti und Roma und deren jahrhundertelange Ausgrenzung – er hat auch eine deutliche und wichtige Botschaft für die Gegenwart: Sinti und Roma gehören zu unserer Gesellschaft, unserer Geschichte, unserer Kultur!“

Gestaltung

Entworfen und angefertigt wurde die Gedenktafel vom Bildhauer und Medailleur Reinhard Jacob. Am 20. Februar 1951 in Steinach (Thüringen) geboren, studierte er von 1969 bis 1977 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bei Eberhard Bachmann und Karl-Heinz Schamal. Ab 1978 war Reinhard Jacob als freischaffender Bildhauer in Berlin-Weißensee tätig. Gemeinsam mit seiner Frau Hannelore Teutsch gründete er 1999 das „PAN  Atelier für Gestaltung“ in Zepernick bei Berlin, einem Ortsteil von Panketal (Nachbarort von Bernau bei Berlin).

Reinhard Jacob präsentierte seine Werke in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland und wurde 1980 mit dem Gustav-Weidanz-Preis für Bildhauerei der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ausgezeichnet. Er hat u.a. Figuren, Porträts (Köpfe und Büsten), figurative Bildplatten, Gedenktafeln, Medaillen und Münzen geschaffen. Zu seinen Werken zählen u.a.:

  • 1977 - Freundinnen und Liegende Figur (Speckstein)
  • 1980 - Eva (Bronze)
  • 1980 - Tröpfelbrunnen (Sandstein/Bronze), Schulkomplex Allee der Kosmonauten in Berlin-Marzahn
  • 1983 - Figur im Raum (Bronze)
  • 1986/87 - Bronzebüste Claire Waldoff, vor dem Berliner Friedrichstadt-Palast
  • 1987 - Porträt-Relief Julian Marchlewski, U-Bahnhof Marchlewskistraße
  • 1987 - Uhu (Bronze), Brotfabrik Weißensee

Internetseite des PAN Atelier für Gestaltung

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Korczak, Dieter: Sinti und Roma in der Stadt Bernau bei Berlin. Ihr Schicksal während und nach der Zeit des Nationalsozialismus, hrsg. von der Stadt Bernau bei Berlin, Bernau bei Berlin 2018
Ratsinformationssystem der Stadt Bernau bei Berlin
Pressemitteilung des brandenburgischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Nr. 171/2023 Potsdam vom 16. Mai 2023
Rakitin, Sabine: Gedenktafel. Ein Pendant zum Schicksal der Bernauer Juden, in: Märkische Oderzeitung vom 8.4.2019
Reinhard Jacob, Eintrag auf Wikipedia am 27.8.2024
Trebs, Tilman: Gedenktafel für Sinti und Roma enthüllt, in: Märkische Oderzeitung vom 17.05.2023

Wir danken der Stadt Bernau bei Berlin sowie dem Stadtmagazin Bernau LIVE für die Nutzungsmöglichkeit der hier verwendeten Fotos.

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