Bonn, Bahnhofsvorplatz

Gedenktafel für die deportierten und ermordeten Bonner Sinti
  • Feierliche Wiederanbringung der Gedenktafel am 6.5.2023, v.l.n.r.: Bonns Bezirksbürgermeister Jochen Reeh-Schall, Oberbürgermeisterin Katja Dörner und Roman Franz, Vorsitzender des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma NRW (Foto: Stadt Bonn/Sascha Engst)
  • Ursprünglicher Standort der Gedenktafel vor dem Bonner Hauptbahnhof (Foto: Landesverband NRW)
  • Vorsitzende des Landesverbands und Gäste bei der Einweihung der Gedenktafel im Dezember 1999 (Foto: Landesverband NRW)
  • Detailansicht der Inschrift am alten Standort (Foto: Wikimedia Commons, Axel Kirch)
  • Gedenktafel am alten Standort/Abgang zur U-Bahn (Foto: Wikimedia Commons, Axel Kirch)
  • Platz der entfernten Gedenktafel vor Beginn der Bauarbeiten, Oktober 2016 (Foto: Rainer Selmann)

Kurzinformation

Gedenktafel für die deportierten und ermordeten Bonner Sinti

Beschreibung

Die Gedenktafel befindet sich rund 30 Meter nördlich des Bonner Hauptbahnhofs (in Richtung Innenstadt). Sie wurde 2023 an einem ein Meter hohen Findling in Form eines Lesepults, mittig zwischen zwei Abgängen zur unterirdischen Stadtbahn auf dem Bahnhofsvorplatz angebracht. Vor der Neugestaltung des Platzes befand sie sich bis Oktober 2016 an einem Pfeiler am Abgang zur U-Bahn und zur Bahnhofspassage.

Die Inschrift der rund 38 x 52 cm großen Bronzetafel lautet: „Wir gedenken der Bonner Sinti, die 1938-1945 aus ihren Häusern deportiert wurden und in Auschwitz und anderswo Opfer des nationalsozialistischen Völkermords wurden. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bonn 1999.“

Im März 1943 wurden insgesamt 17 Angehörige der Familien Franz, Freiwald und Reinhard von Bonn nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Insgesamt wurden 40 Bonner Sinti deportiert, von denen nur eine Person überlebte. Ihrem Andenken ist die Tafel gewidmet.

Entstehung

Die Gedenktafel entstand auf Initiative des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Nordrhein-Westfalen und wurde von der Stadt Bonn realisiert. Ihre Einweihung erfolgte anlässlich des Jahrestags des „Auschwitz-ErlassesAuschwitz-Erlass Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, den sogenannten „Auschwitz-Erlass“, der die familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Wenig später ergingen entsprechende Befehle für Österreich, den Bezirk Białystok, Elsass und Lothringen, Luxemburg, Belgien sowie die Niederlande. Ab Februar 1943 wurden annähernd 23.000 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert, der größte Teil (etwa 10.000 Männer, Frauen und Kinder) stammte aus dem Reichsgebiet.“ (16. Dezember 1942). Gemeinsam mit der Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn, Bärbel Dieckmann, nahmen die beiden Vorsitzenden des Landesverbands, Hugo und Roman Franz, die feierliche Enthüllung vor. Roman Franz war es dabei ein wichtiges Anliegen zu betonen, dass die Tafel keine Anklage erheben, sondern vielmehr als Zeichen gegen das Vergessen wirken solle.

Während der umfangreichen Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes wurde die Tafel im Oktober 2016 entfernt. Im darauffolgenden Jahr begann die Überbauung des Platzes mit dem neuen Stadtviertel „Urban Soul“, das 2021 weitestgehend fertiggestellt werden konnte. Die Gedenktafel kehrte jedoch nicht in ihr ursprüngliches Umfeld zurück, sondern wurde auf dem städtischen Bauhof und zuletzt im Kulturamt aufbewahrt. Auf das „Verschwinden“ des Erinnerungszeichens machten der Bonner Kultur-Blogger Rainer Selmann und der Bürger Frank Wittwer aufmerksam, der durch sein Engagement auch eine Anfrage des Stadtrats an die Stadtverwaltung anregen konnte.

Nachdem die Wiederanbringung der Tafel bereits im August 2019 vorgesehen war, argumentierte das Kulturamt in einer Stellungnahme zur Gedenktafel und zur städtischen Erinnerungskultur im August 2020: „Um das Thema insgesamt, mit allen erforderlichen Facetten, wissenschaftlich fundiert und systematisch aufarbeiten zu können, plant die Verwaltung die Durchführung eines eigenen Projektes für die Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes ‚Aktive Erinnerungskultur.‘ […] Die Abstimmung und Festlegung des neuen Ortes für die Gedenktafel kann frühestens nach Fertigstellung der Baumaßnahme auf dem Nordfeld vor dem Bahnhof erfolgen. Damit ist in ca. 6 Monaten zu rechnen.“ Gleichzeitig stellt die SPD-Fraktion im Stadtrat den Antrag, die Tafel aus dem städtischen Bauhof zu holen und „baldmöglichst an einem neuen prominenten Platz wieder für die Öffentlichkeit sichtbar“ zu machen. Auf Grundlage der Äußerungen des Kulturamtes wurde der Landesverband der Sinti und Roma Nordrhein-Westfalen schließlich im August 2020 seitens der Stadt darüber informiert, dass ein neuer Anbringungsort nach Abschluss der Bauarbeiten Anfang 2021 abgestimmt werden könne.

Dass die Tafel dennoch nicht in den öffentlichen Raum zurückgekehrt war, kritisierte auch die CDU. Die Stadtrats-Fraktion und die Bezirksfraktion stellten am 11. Mai 2021 den Antrag: „Die Verwaltung wird gebeten, den Verbleib der Gedenktafel für Sinti und Roma […] zu klären und für diese einen neuen würdigen Standort in Absprache mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma NRW den Ratsgremien vorzuschlagen.“ Während am 15. Juni 2021 das Kulturamt in einer Stellungnahme seine Position aus dem Sommer 2020 wiederholte und eine Vertagung der Entscheidung bis zum 1. Quartal 2022 vorschlug, stimmte die Sitzung der Bezirksvertretung einstimmig und unverändert dem Antrag der CDU zu, um den Anbringungsprozess zu dynamisieren. Zudem wandte sich der Vorsitzende des Landesverbands der Sinti und Roma, Roman Franz, in einem Brief mit eindringlichen Worten an die Stadtverwaltung: „In diesem Sinne bitte ich Sie, die Entscheidung über den Verbleib der Gedenktafel in Abstimmung mit uns, dem Landesverband, zu fällen – und das nicht erst Anfang 2022. Ich hoffe, baldmöglichst von Ihnen zu hören.“

Treffend kommentierte Fabien Schäfer im Bonner General-Anzeiger am 21. Juni 2021 die gegenwärtige Situation mit folgenden Worten: „Es ist grundsätzlich keine schlechte Idee, nicht nur die Geschichte, sondern auch die Art des Gedenkens zu hinterfragen und, wo nötig, anzupassen. […] Weshalb allerdings der Ort der Gedenktafel für die deportierten Sinti aus Bonn „grundlegend aufgearbeitet“ werden müsse, bleibt ein Rätsel. […] Welchen Erkenntnisgewinn ‚grundsätzliche Klärungen zum Umgang mit der Erinnerungskultur in Bonn‘ versprechen, bleibt abzuwarten. Dass allerdings der zuständige Verband als Initiator der Gedenktafel von der verschobenen Entscheidung der Wiederanbringung nur dank einer Anfrage im Denkmalausschuss erfuhr, ist unsensibel. Dass der Verband immer wieder mit späteren Daten vertröstet wurde, ist peinlich.“

Am 5. April 2022 beschloss die Bezirksvertretung Bonn schließlich einstimmig, dass die Gedenktafel in Abstimmung mit der Unteren Denkmalbehörde auf einem Findling angebracht werden und dieses Objekt mittig zwischen den zwei Abgängen zu der unterirdischen Stadtbahn auf dem Bahnhofsvorplatz aufgestellt werden soll. Diese sollte mit der Maßgabe erfolgen, die Kunstkommission und die Vertretung der Sinti und Roma an den weiteren Schritten zu beteiligen.

Zur Standortentscheidung hielt die Bezirksvertretung Bonn am 16.8.2022 fest: „Für diesen Standort spricht, dass der Gedenktafel, und damit auch dem Andenken an die ermordeten und vertriebenen Sinti, durch die Bahnhofsnähe und die anliegende Einkaufsstraße im Fußgängerbereich und die damit einhergehende erhöhte Menge an vorbeikommenden Personen eine hohe Beachtung zuteilwird. Weitere, gleichgeeignete Standorte für die Wiederanbringung der Gedenktafel ließen sich nicht identifizieren, sodass keine entsprechenden Alternativen zur Wahl gestellt werden können.“

Wenig später wurde der Auftrag zur Erstellung und Aufstellung am 28.9.2022 erteilt. Damit kehrte das Erinnerungszeichen in unmittelbare Nähe des früheren Standortes zurück, wie dies vom Vorsitzenden des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Nordrhein-Westfalen, Roman Franz, wiederholt eingefordert worden war.

Bei der feierlichen Wiedereinweihung am 6. Mai 2023 bedauerte Oberbürgermeisterin Katja Dörner, dass versäumt worden war, für die Übergangszeit der Bauarbeiten einen alternativen Ort für die Gedenktafel zu finden, und sie nach Abschluss der Baumaßnahmen nicht zügiger wieder angebracht werden konnte. Roman Franz betonte in seiner Ansprache die aktuelle Bedeutung des Erinnerungszeichens: „Stellvertretend für alle Opfer steht auch diese Gedenktafel, gut sichtbar, damit die Erinnerung bleibt. Und zwar nicht nur die Erinnerung an alle, die unter dem NS-Staat zu leiden hatten, sondern auch die Erinnerung an das, was passieren kann, wenn Hass und Vorurteile politisch genutzt werden. Eine solche Gedenktafel schützt auch davor, Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Sie rückt in den Fokus, was passieren kann, wenn Gesellschaft und Politik sich für den falschen Weg entscheiden. Inzwischen gibt es insgesamt 16 Mahnmäler in ganz NRW, die mit vielen Bemühungen seitens des Landesverbands durchgesetzt wurden. Ich hoffe, dass diese 16 Mahnmäler etwas beitragen zum Kampf gegen Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ausgrenzung.“

Gestaltung

Die Gedenktafel wurde in der seit 1999 in Bonn ansässigen Kunstgießerei von Friedemann Sander angefertigt. Dort entstehen in einem speziellen Gussverfahren Bronzeskulpturen verschiedener Künstlerinnen und Künstler, eigene Werke und Auftragsarbeiten. Zu den bekanntesten Bronzearbeiten für den öffentlichen Raum zählen das Bronzemodell der Stadt Bonn auf dem Bonner Münsterplatz, die Bronzeskulptur an der Saugasse in Lohmar sowie das Bronzemodell der Godesburg in Bad Godesberg.

Kunstgießerei Friedemann Sander 

Die Neugestaltung des Findlings mit der darauf angebrachten Gedenktafel wurde von der Steinmetz- und Bildhauerwerkstatt Markus Weisheit (Siegburg) ausgeführt.

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Bab, Bettina/Stang, Erhard: „Aufenthalt hat hier keine derartige Familie genommen...“ Sinti und Roma in der Region Bonn, in: Fremde in Bonn. Ein historisches Lesebuch, hrsg. von der Bonner Geschichtswerkstatt, Bonn 1993, S. 82-91.
Roth, Thomas: „Verzogen nach Auschwitz“. Zur Verfolgung der Bonner Sinti in der NS-Zeit, in: Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933-1945, hrsg. von Fings, Karola/Opfermann, Ulrich, Paderborn 2012, S. 89-100.
Schäfer, Fabien: „Unsensibler Handeln“ und „Gedenktafel liegt seit Jahren im Kulturamt“ in Bonner General-Anzeiger am 21. Juni 2021.
„Was ist mit der Gedenktafel für die Sinti und Roma geschehen?“ Blogeintrag vom 20.10.2016 auf Kulturnews. Bonn & Kultur by Rainer Selmann.

Axel Kirch/Wikimedia Commons
Gesamtansicht https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2016-05-04-bonn-poststrasse-gedenkort-sinti-und-roma-01.jpg
Detailansicht https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2016-05-04-bonn-poststrasse-gedenkort-sinti-und-roma-02.jpg

Wir danken Rainer Selmann, Axel Kirch und Barbara Löcherbach (Bundesstadt Bonn) für die freundliche Unterstützung und die Erlaubnis zur Nutzung der hier verwendeten Fotos.

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