Halle, Magdeburger Straße

Stolpersteine zur Erinnerung an deportierte Sinti-Kinder
  • Blick auf das Gebäude der ehemaligen Universitäts-Frauenklinik (Foto: Andreas Pflock)
  • Stolpersteine vor dem historischen Eingangstor (Foto: Andreas Pflock)
  • Gesamtansicht der Stolpersteine (Foto: Andreas Pflock)
  • Detailansicht (Foto: Andreas Pflock)
  • Haupteingang der ehemaligen Universitäts-Frauenklinik (Foto: Andreas Pflock)
  • Blick durch das Eingangstor auf die Stolpersteine und die Magdeburger Straße (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Stolpersteine zur Erinnerung an deportierte Sinti-Kinder

Beschreibung

Vor dem historischen Eingangstor zur ehemaligen Universitätsfrauenklinik, in Höhe der Straßenbahnhaltestelle Magdeburger Straße, erinnern sieben Stolpersteine an das Schicksal von Sinti-Kindern, die hier geboren wurden.

Die Stolpersteine bestehen aus Betonsteinen mit verankerten ca. 10 x 10 cm großen Messingplatten und tragen die folgenden mit Schlagbuchstaben eingehämmerten Inschriften:

„Hier geboren sieben Kinder Frauenklinik Halle, deportiert/ermordet Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau“
„Reinhold Bello, geboren 3. März 1941, ermordet 4. April 1943“
„Josef Bello, geboren 7. November 1940, ermordet 5. April 1943“
„Johannes Lauenburger, geboren 18. März 1941, ermordet 18. April 1943“
„Marianne Geisler, geboren 23. April 1940, ermordet 24. April 1943“
„Karl Bello, geboren 9. Juli 1942, ermordet 1. Mai 1943“
„Franz Petermann, geboren 13. März 1941, ermordet 7. Mail 1943“
„Mala Bello, geboren 24. Januar 1942, ermordet 29. Juli 1943“

Bis auf die Geburts- und Todesdaten der Kinder ist kaum etwas über ihr Leben und Schicksal bekannt. Auf Grundlage des Auschwitz-ErlassesAuschwitz-Erlass Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, den sogenannten „Auschwitz-Erlass“, der die familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Wenig später ergingen entsprechende Befehle für Österreich, den Bezirk Białystok, Elsass und Lothringen, Luxemburg, Belgien sowie die Niederlande. Ab Februar 1943 wurden annähernd 23.000 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert, der größte Teil (etwa 10.000 Männer, Frauen und Kinder) stammte aus dem Reichsgebiet. erfolgte Anfang März 1943 auch die DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. der in Halle beheimateten Sinti-Familien in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Am 8. März 1943 wurden die Kinder als „Eingang“ im Zugangsbuch des Lagers vermerkt. Von Franz Petermann ist bekannt, dass er zusammen mit seinen Eltern Maria und Franz Petermann deportiert wurde. Die Familie wohnte in der heutigen Neumarktstraße 3. Dort befinden sich weitere Stolpersteine, die an die Familie erinnern.

Entstehung

Die Initiative zur Verlegung der Stolpersteine ging auf den Hallenser Ralph Voigt zurück. Im Jahr 2014 sammelte er anlässlich seines 50. Geburtstags Spenden für Stolpersteine und regte die Schaffung eines Erinnerungszeichens für die verfolgten Sinti und Roma an. Zuvor hatte sich bereits Heidi Bohley vom Verein „Zeitgeschichte(n) e.V., Verein für erlebte Geschichte“ darum bemüht, Informationen zur Geschichte der örtlichen Sinti und Roma zusammenzutragen. Gemeinsam mit Michael Viebig von der Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle startete sie eine erneute Forschungsinitiative, die schließlich die Namen sowie Geburts- und Todesdaten von aus Halle deportierten Sinti und Roma zu Tage förderte. Dies schuf die Voraussetzung für die Verlegung der Stolpersteine.

Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Sie gehen u.a. auf zwei Aktionen zurück, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma standen. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten Deportation der Kölner Sinti und Roma im Mai 1940 zeichnete Gunter Demnig 1990 eine Kreidespur von ihren Wohnorten bis zum Sammellager in den Kölner Messehallen. Am 16. Dezember 1992 verlegte der Künstler vor dem Alten Kölner Rathaus eine Messingplatte im Pflaster. Sie erinnerte an den 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz-Birkenau.

1996 verlegte Gunther Demnig die ersten Stolpersteine in Berlin. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder ermordet wurden.  Die Stolpersteine werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Verfolgten in den Gehweg eingelassen. Bis heute erinnern über 75.000 Steine in Deutschland und 23 weiteren europäischen Ländern an Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die Stolpersteine zum größten dezentralen Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltung

Gunther Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1967 studierte er zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Berlin und Kunstpädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Dort legte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern „Bildende Kunst“ und „Werken“ ab. Nach einem Studium „Freie Kunst“ an der Universität Kassel von 1974 bis 1977 arbeitete er zunächst im Bereich der Denkmalsanierung sowie zwischen 1980 und 1985 als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel.

Seit 1985 unterhält er ein Atelier in Köln. Gunter Demnig ist seit 1987 Mitglied im Internationalen Künstlergremium. Dieser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Kritikern setzt sich für Kunst-, Informations- und Pressefreiheit sowie für kulturelle Selbstbestimmung, Toleranz und kulturelle Vielfalt ein. Nach den Aktionen zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma in den Jahren 1990 und 1992 entwarf Gunther Demnig 1993 das Projekt „Stolpersteine“. 1996 fand die erste Steinverlegung in Berlin-Kreuzberg statt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt war und erst später legalisiert wurde.

Für sein Projekt „Stolpersteine“ erhielt Gunther Demnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di, 2006 den Bertini-Preis der Stadt Hamburg und 2011 die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Titel „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Gunther Demnig lebt in Frechen bei Köln.
Internetseite von Gunter Demnig

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

https://m.halle.de/de/Kultur/Stadtgeschichte/Historische-Ereignisse/Stolpersteine am 12.4.2021.
https://dubisthalle.de/erinnerung-an-ermordete-zigeuner-kinder-aus-halle2 am 12.4.2021.

Viebig, Michael: Stolpersteine für Sinti und Roma in Halle (Saale), in: Erinnern! Aufgaben, Chancen, Herausforderung (1/2017), hrsg. Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2017, S. 26-40.

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