Hannover, Gedenkstätte Ahlem Gedenkskulptur

Gedenkskulptur zur Erinnerung an den NS-Völkermord an Sinti und Roma
  • Gedenkskulptur vor dem historischen Direktorenhaus (Foto: Andreas Pflock)
  • Eingangsbereich der Gedenkstätte mit neuem Foyer und historischem Direktorenhaus (Foto: Andreas Pflock)
  • Gesamtansicht der Gedenkskulptur (Foto: Andreas Pflock)
  • Lage der Gedenkskulptur vor dem ehemaligen Direktorenhaus, heute u.a. Ausstellung und Verwaltung der Gedenkstätte (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Gedenkskulptur zur Erinnerung an den NS-Völkermord an Sinti und Roma

Beschreibung

Die Gedenkstätte Ahlem befindet sich rund fünf Kilometer westlich vom Stadtzentrum und vom Hauptbahnhof entfernt und ist mit der Straßenbahn (Haltestelle Ehrhartstraße) direkt erreichbar.

Die den während der NS-Zeit verfolgten Sinti und Roma gewidmete Gedenkskulptur befindet sich im Eingangsbereich des Gedenkstättenareals, links neben dem erhaltenen Eingangstor der einstigen Israelitischen Gartenbauschule und unmittelbar vor dem historischen Gebäude des Direktorenhauses, in dem sich heute u.a. die Ausstellung der Gedenkstätte befindet.

Die querrechteckige Betonskulptur mit einer Größe von ca. 1,70 x 0,90 Metern wurde auf einem abschüssigen Rasenstück platziert. Sie befindet sich zudem in unmittelbarer Nähe der zentralen Gedenktafel für die Opfer der NS-Verfolgung an einem Mauerstück des Eingangstors. Die Skulptur besteht aus einem stilisierten geborstenen Wagenrad, das die grausame Zäsur des Völkermordes symbolisiert. Die Betontafel knickt an einer Seite analog zu einer Rasenkante ab. Hier ist das Wagenrad „gebrochen“. Der imaginäre Abdruck der Speichen findet sich als Vertiefung im Beton wieder.

Rechts daneben lautet eine in die Betonfläche geätzte und farblich hervorgehobene Inschrift: „Zum Gedenken an die Roma und Sinti, die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes wurden. Zur Erinnerung an das Leid der Überlebenden. Die Kriminalpolizei in Hannover verantwortete die Verschleppung hunderter Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz und in andere Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager. Errichtet von der Region Hannover in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Verband Deutscher Sinti e.V., dem Verein für Sinti und Roma in Niedersachsen e.V. sowie dem Forum für Sinti und Roma e.V.“

Entstehung

Die Gedenkstätte Ahlem entstand auf einem Teil des ehemaligen Geländes der 1893 gegründeten Israelitischen Gartenbauschule Ahlem. Zu Beginn des Nationalsozialismus bot die Schule noch einen Schutz für die jüdischen Schülerinnen und Schüler und verhalf ihnen zur Auswanderung, vor allem nach Palästina. Im Herbst 1941 wurden das Gelände und die Gebäude dann jedoch zur zentralen Sammelstelle bei der DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. jüdischer Menschen aus den damaligen Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim. Bis Januar 1944 wurden ca. 2.200 Männer, Frauen und Kinder von hier aus und über den Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden in Ghettos und Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Seit dem Herbst 1943 nutzte die Gestapo das Direktorenhaus zudem als Außenstelle, im Haupthaus wurde im Juli 1944 ein Polizeiersatzgefängnis eingerichtet. In der Endphase des Krieges fanden auf dem Gelände Hinrichtungen statt.

In Trägerschaft des Landeskreises Hannover wurde 1987 die Gedenkstätte Ahlem mit einer ersten Ausstellung im Kellergeschoss des ehemaligen Direktorenhauses eröffnet. Nach einer Neukonzeption und einem Um- und Neubau wurde sie im Jahr 2014 stark erweitert als zentraler Lern- und Erinnerungsort der Region Hannover eingeweiht. Auch wenn der historische Ort primär mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung verknüpft war, nahm die Gedenkstätte bald auch eine wichtige Rolle in der Erinnerungskultur an den VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. an den Sinti und Roma ein. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass in der Stadt Hannover viele Jahre lang kein vergleichbarer Erinnerungsort existierte. Heute ist die Gedenkstätte traditionell Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus und richtet in jedem Jahr eine Gedenkveranstaltung an die Verfolgung der Sinti und Roma in enger Kooperation mit den Selbstorganisationen der Sinti in Hannover aus.

Bei der Vorbereitung der Gedenkfeier anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation der Hannoveraner Sinti (2018) entstand die Idee, neben einem schon auf dem Außengelände vorhandenen Gedenkstein ein weiteres Erinnerungszeichen im Gedenken an den Völkermord zu errichten. In den Entwurfs- und Gestaltungsprozess wurden verschiedene Selbstorganisationen und Interessensverbände miteinbezogen. Die Finanzierung übernahm die Region Hannover.

Im Rahmen der offiziellen Gedenkstunde am 2. März 2018 gedachten Thomas Hermann, Bürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, Regionspräsident Hauke Jagau sowie Vertreterinnen und Vertreter der Opferverbände, zunächst den Opfern des Völkermordes an den Sinti und Roma. Die Gestaltung des Rahmenprogramms
übernahmen dabei Schülerinnen und Schüler der Anti-RassismusRassismus Rassismus ist eine Form von Diskriminierung, bei der Menschen nicht als Individuen, sondern als Teil einer einheitlichen Gruppe mit bestimmten (meist negativen) Merkmalen und Charaktereigenschaften angesehen werden. Durch Rassismus wurden und werden Menschen aufgrund der realen oder vorgestellten Zugehörigkeit (beispielsweise zu einer Volksgruppe, Nationalität etc.) oder aufgrund äußerer Merkmale, einer bestimmten Religion oder Kultur vorverurteilt, ausgegrenzt, benachteiligt, unterdrückt, gewaltsam vertrieben, verfolgt und ermordet.-AG der Alexanderschule Wallenhorst in Osnabrück in Kooperation mit dem Verein Maro Dromm Sui-Generis. Im Anschluss erfolgten die feierliche Einweihung der Gedenkskulptur und eine gemeinsame Kranzniederlegung.

Gestaltung

Die Betonskulptur wurde von dem Landschaftsplaner Marcus Cordes des in Hannover ansässigen Landschaftsarchitekturbüros chora blau entworfen und von OGGI-Beton angefertigt. Das Architekturbüro hatte bereits bei der Neukonzeption der Gedenkstätte die dortigen Außenanlagen neugestaltet. Marcus Cordes (Dr.-Ing. Landschafts- und Freiraumplanung Landschaftsarchitekt AK NDS) studierte von 1991 bis 1998 an der Leibniz Universität Hannover. Von 2001 bis 2008 war er dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Architektur und Landschaft im Institut für Landschaftsarchitektur. Im Jahr 2011 legte er seine Dissertation zum Thema „LANDSCHAFT - ERINNERN. Über das Gedächtnis im Erfinden von Orten“ vor. 2012 war er Mitbegründer von chora blau.

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Homeyer, Friedel: 100 Jahre Israelitische Erziehungsanstalt – Israelitische Gartenbauschule 1893-1993, Mahn- und Gedenkstätte des Landkreises Hannover in Ahlem, Hannover 1993
Niedersächsischer Verband Deutscher Sinti e.V. (Hrsg.): Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, Bielefeld 2004
Obenaus, Herbert: „Sei stille, sonst kommst Du nach Ahlem!“: Zur Funktion der Gestapostelle in der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule von Ahlem (1943-1945), Kulturinformation Band 16 der Landeshauptstadt Hannover, Hannover 1988
Schmid, Hans-Dieter Schmid, Marlis Buchholz u.a. (Hrsg.) : Ahlem. Die Geschichte einer jüdischen Gartenbauschule und ihres Einflusses auf Gartenbau und Landschaftsarchitektur in Deutschland und Israel, Bremen 2008

chora blau Landschaftsarchitektur, https://chorablau.de/gedenkort-sinti-und-roma am 27.6.2024
OGGI Beton, Gedenkskulptur für Roma und Sinti: https://oggi-beton.de/gedenkskulptur-fuer-roma-und-sinti am 27.6.2024

Interview von Andreas Pflock (Dokuzentrum Heidelberg) mit Andreas Mischok (Gedenkstätte Ahlem) am 22.11.2022
Interview von Andreas Pflock (Dokuzentrum Heidelberg) mit Samantha Rose (Forum für Sinti und Roma e.V.) am 22.11.2022

Wir danken Samantha Rose (Forum für Sinti und Roma e.V.) und Andreas Mischok (Gedenkstätte Ahlem) für die freundliche Unterstützung.

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