Hannover, Osterstraße

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familie Seeger
  • Stolpersteine vor dem Hauseingang in der Osterstraße (Foto: Andreas Pflock)
  • Stolpersteine in der Osterstraße 39 (Foto: Andreas Pflock)
  • Heutiges Wohn- und Geschäftshaus in der Osterstraße 39 (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familie Seeger

Beschreibung

In der Osterstraße 42 (historische Adresse) lebte bis zu ihrer DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. nach Auschwitz die achtköpfige Familie Seeger. Die zur Erinnerung an die Ermordeten verlegten sieben Stolpersteine bestehen aus Betonsteinen mit verankerten ca. 10 x 10 cm großen Messingplatten. Sie tragen folgende mit Schlagbuchstaben eingehämmerten Inschriften:

„Hier wohnte Bernhard Seeger, JG. 1906, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Christel Seeger, JG. 1928, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Dorothee Seeger, JG. 1937, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Hildegard Seeger, JG. 1938, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Martha Seeger, geb. Emmler, JG. 1904, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Melanie Seeger, JG. 1935, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Ronald Seeger, JG. 1934, verhaftet 2.3.1943, deportiert, ermordet in Auschwitz“

Auf Grundlage des Auschwitz-ErlassesAuschwitz-Erlass Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, den sogenannten „Auschwitz-Erlass“, der die familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Wenig später ergingen entsprechende Befehle für Österreich, den Bezirk Białystok, Elsass und Lothringen, Luxemburg, Belgien sowie die Niederlande. Ab Februar 1943 wurden annähernd 23.000 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert, der größte Teil (etwa 10.000 Männer, Frauen und Kinder) stammte aus dem Reichsgebiet. erfolgte Anfang März 1943 auch die Deportation der in Hannover beheimateten Sinti-Familien nach Auschwitz-Birkenau. Darunter befanden sich die Angehörigen der Familie Seeger, über die das Stadtarchiv Hannover einige Informationen zusammentragen konnte. Die Eltern Bernhard und Martha Seeger waren mit vier Kindern im Juni 1937 von Stettin nach Hannover gezogen. Das Einwohnermeldeamt hielt fest, dass Bernhard Seeger als „Musiker und Artist“ arbeitete. In Hannover brachte Martha Seeger die beiden Mädchen Dorothee (1937) und Hildegard (1938) zur Welt.

Am 2. März 1943 wurde die achtköpfige Familie verhaftet, nach einer Erfassung zum Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden gebracht und von dort nach Auschwitz verschleppt. Die beiden größeren Kinder Ursula und Christel waren zu diesem Zeitpunkt 17 bzw. 14 Jahre und die vier kleinen Kinder zwischen vier und acht Jahre alt. Auf der Karte im Einwohnermeldeamt wurden abschließend vermerkt: „Auschwitz abgeschoben“. Nur Ursula Seeger, später verheiratete Rose, überlebte den VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden..

Entstehung

Seit dem Jahr 2007 organisiert die Stadt Hannover zusammen mit partnerschaftlichen Initiativen der Erinnerungskultur die Verlegung von Stolpersteinen. Bislang sind mehr als 400 Orte des Erinnerns an Verfolgte und Ermordete des NS-Regimes in der Stadt entstanden. Die Abteilung Städtische Erinnerungskultur forscht, koordiniert die Ergebnisse und organisiert einmal pro Jahr eine Verlegung neuer Steine.

Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Sie gehen u.a. auf zwei Aktionen zurück, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma standen. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten Deportation der Kölner Sinti und Roma im Mai 1940 zeichnete Gunter Demnig 1990 eine Kreidespur von ihren Wohnorten bis zum Sammellager in den Kölner Messehallen.

Am 16. Dezember 1992 verlegte der Künstler vor dem Alten Kölner Rathaus eine Messingplatte im Pflaster. Sie erinnerte an den 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz-Birkenau. 1996 verlegte Gunther Demnig die ersten Stolpersteine in Berlin. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder ermordet wurden.

Die Stolpersteine werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Verfolgten in den Gehweg eingelassen. Bis heute erinnern über 75.000 Steine in Deutschland und 23 weiteren europäischen Ländern an Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die Stolpersteine zum größten dezentralen Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltung

Gunther Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1967 studierte er zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Berlin und Kunstpädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Dort legte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern „Bildende Kunst“ und „Werken“ ab. Nach einem Studium „Freie Kunst“ an der Universität Kassel von 1974 bis 1977 arbeitete er zunächst im Bereich der Denkmalsanierung sowie zwischen 1980 und 1985 als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel.

Seit 1985 unterhält er ein Atelier in Köln. Gunter Demnig ist seit 1987 Mitglied im Internationalen Künstlergremium. Dieser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Kritikern setzt sich für Kunst-, Informations- und Pressefreiheit sowie für kulturelle Selbstbestimmung, Toleranz und kulturelle Vielfalt ein. Nach den Aktionen zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma in den Jahren 1990 und 1992 entwarf Gunther Demnig 1993 das Projekt „Stolpersteine“. 1996 fand die erste Steinverlegung in Berlin-Kreuzberg statt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt war und erst später legalisiert wurde.

Für sein Projekt „Stolpersteine“ erhielt Gunther Demnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di, 2006 den Bertini-Preis der Stadt Hamburg und 2011 die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Titel „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Gunther Demnig lebt in Frechen bei Köln.
Internetseite von Gunter Demnig

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Hesse, Hans: Stolpersteine. Idee, Künstler, Geschichte, Essen 2017.
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt, Köln 2007.
Niedersächsischer Verband Deutscher Sinti e.V. (Hrsg.): Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, Bielefeld 2004.

Stadtarchiv Hannover (Hrsg.): Kurzinformation Stolpersteine Osterstraße 39, Hannover 2009.

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