Hannover, Wagenerstraße

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familien Blum, Braun und Rosenbach
  • Detailansicht der Stolpersteine (Foto: Bernd Schwabe, Wikimedia Commons)
  • Stolpersteine vor dem Zaun der Kita am Mittelweg (Foto: Andreas Pflock)
  • Teilansicht der Stolpersteine (Foto: Andreas Pflock)
  • Blick über den Mittelweg auf die Rückseite der Kita (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familien Blum, Braun und Rosenbach

Beschreibung

In der Wagenerstraße 17 (früher Mittelstraße 5) lebten bis zu ihrer DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. nach Auschwitz Berta, Berno, Paul und Rosemarie Blum, Brigitta, Elsa-Vera und Günter Braun sowie Hedwig Rosenbach. Die für sie gesetzten Stolpersteine befinden sich jedoch nicht in der Wagenerstraße 17 vor dem Eingang der heutigen Kindertagesstätte, sondern in der Mittelstraße gegenüber der Hausnummer 11 vor dem Zaun der Kita. Die insgesamt acht Stolpersteine bestehen aus Betonsteinen mit verankerten ca. 10 x 10 cm großen Messingplatten und tragen die mit Schlagbuchstaben eingehämmerten Inschriften:

„Hier wohnte Berta Blum, geb. Rosenbach, gesch. Braun, JG. 1902, deportiert 2.3.1943 Auschwitz, tot 10.6.1944“
„Hier wohnte Berno Blum, JG. 1939, deportiert 2.3.1943, tot in Auschwitz“
„Hier wohnte Paul Blum, JG. 1937, deportiert 2.3.1943, tot in Auschwitz“
„Hier wohnte Rosemarie Blum, JG. 1940, deportiert 2.3.1943 Auschwitz, tot 13.1.1944“
„Hier wohnte Brigitta Braun, JG. 1934, deportiert 2.3.1943 Auschwitz, tot 24.3.1944“
„Hier wohnte Elsa-Vera Braun, JG. 1935, deportiert 2.3.1943 Auschwitz, tot 11.2.1944“
„Hier wohnte Günter Braun, JG. 1933, deportiert 2.3.1943, tot in Auschwitz“
„Hier wohnte Hedwig Rosenbach, JG. 1936, deportiert 2.3.1943 Auschwitz, tot 20.3.1944“

Auf Grundlage des Auschwitz-ErlassesAuschwitz-Erlass Am 16. Dezember 1942 unterzeichnete Heinrich Himmler, der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, den sogenannten „Auschwitz-Erlass“, der die familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete. Wenig später ergingen entsprechende Befehle für Österreich, den Bezirk Białystok, Elsass und Lothringen, Luxemburg, Belgien sowie die Niederlande. Ab Februar 1943 wurden annähernd 23.000 Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau deportiert, der größte Teil (etwa 10.000 Männer, Frauen und Kinder) stammte aus dem Reichsgebiet. erfolgte Anfang März 1943 die Deportation der in Hannover beheimateten Sinti-Familien nach Auschwitz-Birkenau. Darunter befanden sich auch die in der damaligen Mittelstraße 5 lebenden Männer, Frauen und Kinder. Über die Familie Blum konnte das Stadtarchiv Hannover einige Informationen zusammentragen. Die Eheleute Kurt und Berta Blum lebten hier mit ihren neun Kindern. Die Verhältnisse in der drei Zimmer umfassenden Wohnung waren sehr beengt, entsprachen aber der damals üblichen Belegung in den kleinen Fachwerkhäusern der Hannoveraner Alt- und Neustadt. Kurt Blum arbeitete im Schaustellerbetrieb seines Vaters. In dem Lokal gegenüber des Wohnhauses spielte er regelmäßig Musik und verdiente damit zusätzliches Geld für den Lebensunterhalt der Familie. Am Morgen des 1. März wurde die Familie aus der Wohnung geholt und in das unweit entfernte Polizeipräsidium gebracht. Nach der Erfassung ihrer Namen und Daten wurde sie am folgenden Tag zum Bahnhof Fischerhof in Hannover-Linden gebracht, wo der Deportationszug bereits wartete.

Entstehung

Seit dem Jahr 2007 organisiert die Stadt Hannover zusammen mit partnerschaftlichen Initiativen der Erinnerungskultur die Verlegung von Stolpersteinen. Bislang sind mehr als 400 Orte des Erinnerns an Verfolgte und Ermordete des NS-Regimes in der Stadt entstanden. Die Abteilung Städtische Erinnerungskultur forscht, koordiniert die Ergebnisse und organisiert einmal pro Jahr eine Verlegung neuer Steine.
Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Sie gehen u.a. auf zwei Aktionen zurück, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma standen. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten Deportation der Kölner Sinti und Roma im Mai 1940 zeichnete Gunter Demnig 1990 eine Kreidespur von ihren Wohnorten bis zum Sammellager in den Kölner Messehallen.

Am 16. Dezember 1992 verlegte der Künstler vor dem Alten Kölner Rathaus eine Messingplatte im Pflaster. Sie erinnerte an den 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz-Birkenau. 1996 verlegte Gunther Demnig die ersten Stolpersteine in Berlin. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder ermordet wurden.

Die Stolpersteine werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Verfolgten in den Gehweg eingelassen. Bis heute erinnern über 75.000 Steine in Deutschland und 23 weiteren europäischen Ländern an Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die Stolpersteine zum größten dezentralen Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltung

Gunther Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1967 studierte er zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Berlin und Kunstpädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Dort legte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern „Bildende Kunst“ und „Werken“ ab. Nach einem Studium „Freie Kunst“ an der Universität Kassel von 1974 bis 1977 arbeitete er zunächst im Bereich der Denkmalsanierung sowie zwischen 1980 und 1985 als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel.

Seit 1985 unterhält er ein Atelier in Köln. Gunter Demnig ist seit 1987 Mitglied im Internationalen Künstlergremium. Dieser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Kritikern setzt sich für Kunst-, Informations- und Pressefreiheit sowie für kulturelle Selbstbestimmung, Toleranz und kulturelle Vielfalt ein. Nach den Aktionen zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma in den Jahren 1990 und 1992 entwarf Gunther Demnig 1993 das Projekt „Stolpersteine“. 1996 fand die erste Steinverlegung in Berlin-Kreuzberg statt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt war und erst später legalisiert wurde.

Für sein Projekt „Stolpersteine“ erhielt Gunther Demnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di, 2006 den Bertini-Preis der Stadt Hamburg und 2011 die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Titel „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Gunther Demnig lebt in Frechen bei Köln.
Internetseite von Gunter Demnig

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Hesse, Hans: Stolpersteine. Idee, Künstler, Geschichte, Essen 2017.
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt, Köln 2007.
Niedersächsischer Verband Deutscher Sinti e.V. (Hrsg.): Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, Bielefeld 2004.
Stadtarchiv Hannover (Hrsg.): Kurzinformation Stolpersteine Wagenerstraße 17, Hannover 2007.

Foto: Bernd Schwabe, 11.4.2011 (Wikimedia Commons am 12.03.2021)

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