Heidelberg, Steingasse

Gedenktafel für deportierten und ermordeten Heidelberger Sinti
  • Gesamtansicht der Gedenktafel (Foto: Andreas Pflock)
  • Blick durch die Steingasse auf die Alte Brücke (Foto: Andreas Pflock)
  • Gedenktafel an der Fassade des Brauhaus Vetter, im Hintergrund die Heiliggeistkirche (Foto: Andreas Pflock)
  • Gedenktafel an der Häuserfassade (Foto: Andreas Pflock)
  • Detailansicht der Gedenktafel (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Gedenktafel für deportierten und ermordeten Heidelberger Sinti

Beschreibung

Der Erinnerungsort für die Heidelberger Sinti befindet sich im Herzen der Heidelberger Altstadt, nur wenige Schritte vom Markplatz und der Heiliggeistkirche entfernt. Die Steingasse selbst führt vom Marktplatz zur alten Neckarbrücke und ist eine der am stärksten frequentierten Zonen im historischen Stadtkern.

An der Häuserfassade des gegenwärtig als „Brauhaus Vetter“ genutzten Gebäudes wurde die 70 x 100 cm große und 4,5 cm starke Gedenktafel aus rotem Sandstein angebracht. Das darin eingearbeitete Relief mit einer Größe von 50 x 50 cm stellt eine Gruppe von Menschen dar, die gegenseitig Trost suchen, sich Trost spenden und sich umarmen. Es symbolisiert die diskriminierten, deportierten und ermordeten Angehörigen der Sinti-Familien. Die eingemeißelte Inschrift lautet: „Zum Gedenken an die Heidelberger Sinti, die dem NS-VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. zum Opfer fielen.“

Entstehung

Die Gedenktafel für die Heidelberger Sinti geht auf eine gemeinsame Initiative des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg und der Stadt Heidelberg zurück. Der damaligen Oberbürgermeisterin Beate Weber war es ein besonderes Anliegen, an die bis dahin verdrängte Opfergruppe der Sinti und Roma öffentlich zu erinnern. Gemeinsam mit ihr engagierte sich Ilona Lagrene, die Bürgerrechtlerin und damalige Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma (1990-1996), für die Schaffung von Erinnerungsorten für die im Nationalsozialismus verfolgten Sinti und Roma.

Ilona Lagrene erinnerte sich: „Es war nicht einfach, für die Überlebenden ein würdiges Gedenken an ihre ermordeten Schwestern und Brüder zu schaffen. Über viele Jahre habe ich mich für die Errichtung von Gedenktafeln an öffentlichen Orten eingesetzt, damit nichts vom Leid unserer Menschen verloren geht. Jedes Mal musste die öffentliche Zeichensetzung hartnäckig erkämpft werden. Angefangen habe ich mit meiner Geburtsstadt Heidelberg. Dort lebten im ausgehenden 19. Jahrhundert schon viele Sinti. Die Älteren, die überlebt hatten und in ihre Heimat zurückgekehrt waren, kannte ich alle. Unser Anliegen stieß auf positive Resonanz. Die Tafel hängt in der Steingasse, kurz bevor man über die Alte Brücke geht. Sie ist  den Heidelberger Sinti, „die dem NS-Völkermord zum Opfer fielen“, so heißt es da, gewidmet.“ (nach: "Die Bürgerrechtsarbeit war der Inhalt meines Lebens")

Nachdem die geplante Anbringung der Tafel an einem der ehemaligen Wohnhäuser nicht realisierbar war, bot die Stadt Heidelberg den heutigen Ort an einer städtischen Immobilie an. Er steht symbolisch für die  Heidelberger Sinti-Familien, die in den umliegenden Gassen der Altstadt seit Generationen lebten.

Am 11. Mai 1993 veranstaltete die Stadt zur Erinnerung an die verfolgten Heidelberger Sinti eine Gedenkveranstaltung unter dem Motto „Die Überlebenden sind die Ausnahme“. Anlass war der 50. Jahrestag der Deportationen von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im Jahr 1943. Nach einer Feierstunde im Spiegelsaal des Palais Prinz Carl enthüllten Oberbürgermeisterin Beate Weber und Ilona Lagrene gemeinsam die Gedenktafel.

Die Errichtung der Gedenktafel für die Heidelberger Sinti ist auch vor dem Hintergrund der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma und besonders mit ihrer Verbindung zur Stadt Heidelberg zu sehen. Hier fand 1973 die erste Demonstration gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma statt. Heute sitzt in Heidelberg der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, der 1982 nach jahrelangem Einsatz für die Rechte der Sinti und Roma gegründet wurde, um sich für die Interessen der Minderheit einzusetzen. So kann auch die Errichtung der Gedenktafel als ein Erfolg der jahrelangen Bürgerrechtsarbeit für die Deutschen Sinti und Roma gewertet werden.

Gestaltung

Die Planung und Gestaltung des Denkmals übernahmen Mitglieder der im rheinland-pfälzischen Albersweiler ansässigen Sinti-Werkstatt. Diese war vom Landesverband Deutscher Sinti und Roma Rheinland-Pfalz gegründet worden, um die seit Generationen überlieferte Handwerkskunst der Sinti und Roma zu erhalten und zu fördern. Die Idee dazu entstand im Kontext des Evangelischen Kirchentags 1983 in Hannover, wo Sinti-Handwerker ihre Arbeiten präsentierten. Finanzielle Unterstützung erhielt das Projekt von der Freudenberg-Stiftung sowie vom Bundes-Bildungsministerium in Bonn. Dank dieser Unterstützung wurden unter Führung des Landesverbands eine Werkstatt und ein Verkaufsraum im pfälzischen Albersweiler angemietet, wo die Handwerker zahlreiche außergewöhnliche Werke anfertigen konnten.

Die „Sinti-Werkstatt“ erfreute sich nach ihrer Eröffnung im Mai 1987 bis zum Projektende im Herbst 1994 einer breiten Aufmerksamkeit bei vielen prominenten Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik. Das Projekt wurde schnell zum Wegweiser für den richtigen Umgang mit Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüber der Minderheit. Die Förderung der Kultur, hier im Besonderen der traditionellen Handwerkskunst der Sinti, wie auch die breite öffentliche Anerkennung ihrer Arbeiten unterstützten den Abbau alter Vorurteile. Davon zeugen zahlreiche öffentliche Aufträge, die die Sinti-Werkstatt erhielt. Bekannt wurde die Sinti-Werkstatt im pfälzischen Albersweiler jedoch vor allem durch ihre Werke zum Gedenken an die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Sinti und Roma. Zu den Arbeiten der Sinti-Werkstatt gehören:

  • Brunnentrog der barocken Grundwasser-Brunnenanlage in Landau (1989)
  • Wappen der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer (1990)
  • Taufstein für die evangelische Kirche in Landau-Nußdorf (1991)
  • Mahnmal für die verfolgten und ermordeten Sinti und Roma in Wiesbaden (1992)
  • Gedenktafel für die deportierten Düsseldorfer Sinti in Düsseldorf (Einweihung 1993)
  • Gedenktafel zur Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Heidelberger Sinti (1993)
  • Gedenktafel zur Erinnerung an die Mai-Deportationen 1940 am Bahnhof in Asperg (1995)

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

„Die Bürgerrechtsarbeit war der Inhalt meines Lebens“. Interview von Cornelia Wilß und Romeo Franz mit Ilona Lagrene (17.7.2019), online https://heimatkunde.boell.de/2019/07/17/die-buergerrechtsarbeit-war-der-inhalt-meines-lebens am 13.5.2024

„Gedenktafel in der Steingasse. Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung“ in Heidelberger Rundschau vom 5. Juni 1993.
„Man kann verzeihen, aber nicht vergessen“, in Rhein-Neckar-Zeitung vom 12. Mai 1993.

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