Beschreibung
Die Gedenktafel befindet sich nur wenige Gehminuten von der örtlichen S-Bahn-Haltestelle entfernt in der Ortsmitte von Hoffenheim, einem Stadtteil von Sinsheim. Sie wurde an der rückseitigen Fassade des einstigen Rathauses, neben dem Eingang zur Verwaltungsstelle Hoffenheim der Stadtverwaltung Sinsheim, angebracht. Das historische, denkmalgeschützte Gebäude aus dem Jahr 1796 gilt als repräsentativstes Bürgerhaus des Ortes.
Die Gedenktafel wurde im Format von 58 x 85 cm und mit einer Stärke von 8 mm in Bronze gegossen. Ihre Oberfläche ist patiniert mit abgeriebenen Erhabungen und trägt folgende Inschrift:
„Im Gedenken an die Hoffenheimer Mitbürger, die im Mai 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurden. Sie wurden ermordet, weil sie Sinti waren.
Wilhelm Birkenfelder
geb. am 15. Februar 1895
Katharina Birkenfelder
geborene Steinberger
geb. am 3. Juni 1899
Michael Birkenfelder
geb. am 28. Februar 1921
Gottfried Birkenfelder
geb. am 11. Juli 1923
Karl Birkenfelder
geb. am 28. Juni 1928
Josef Birkenfelder
geb. am 28. Januar 1931
Gottlieb Birkenfelder
geb. am 25. Oktober 1934
Wilhelm Birkenfelder
geb. am 13. August 1932
Sonja Birkenfelder
geb. am 27. Februar 1938
‚Der VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. an den Sinti und Roma ist mit dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz, mit dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden, wie der an den Juden.‘
Bundespräsident Roman Herzog“
Die Tafel erinnert an die seit 1927 in Hoffenheim beheimateten Angehörigen der Familie Birkenfelder. Sie wurden Anfang Mai 1943 verhaftet, in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und ausnahmslos ermordet.
Entstehung
Die Anbringung der Gedenktafel ist dem langjährigen Engagement der pensionierten Weinheimer Lehrerin Elsbeth Wagner zu verdanken. Sie hatte bis zu ihrem 14. Lebensjahr in Hoffenheim gewohnt und war im Alter von vier Jahren zufällig Zeugin der DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. geworden. Ihre damaligen Wahrnehmungen brannten sich tief in ihre Erinnerung ein. Rund 20 Jahre lang kämpfte Elsbeth Wagner für ein Gedenkzeichen und wendete sich u.a. an Bundespräsident Horst Köhler und dessen Nachfolger Joachim Gauck. Doch erst nach einem Kontakt zur katholischen Schuldekanin Jutta Stier in Sinsheim, die sich für die Verlegung von Stolpersteinen in der Stadt einsetzte, kam Bewegung in das Vorhaben.
Im Dezember 2019 richtete die Rhein-Neckar-Zeitung durch eine Berichterstattung von Ingrid Thoms-Hoffmann die Aufmerksamkeit der breiten regionalen Öffentlichkeit auf die Verfolgungsgeschichte der Familie Birkenfelder und auf ein bis dahin fehlendes Gedenkzeichen. Nur wenige Monate später signalisierte im März 2020 der Sinsheimer Oberbürgermeister Jörg Albrecht, die Schaffung einer Gedenktafel zu unterstützen. Begleitet wurden die weiteren Realisierungsschritte durch den Ortsvorsteher Karlheinz Hess und den Ortschaftsrat. Manfred Lautenschläger, dessen Stiftung sich seit vielen Jahren dem Engagement gegen den bis heute weit verbreiteten Antiziganismus widmet, sagte die Finanzierung der Gedenktafel zu.
Bedingt durch die Corona-Pandemie verzögerte sich die Einweihung der Gedenktafel und musste vom Jahr 2020 auf den Mai 2021 verschoben werden. Aufgrund der bestehenden Einschränkungen konnte die Zeremonie nur in kleinem Kreis und ohne Öffentlichkeit durchgeführt werden. Oberbürgermeister Jörg Albrecht begrüßte die Anwesenden und betonte: „Gerade in der heutigen Zeit war es uns wichtig, mit dieser Gedenktafel ein Zeichen zu setzen. Ich bedanke mich herzlich bei Elsbeth Wagner, deren Engagement wir diese Tafel zu verdanken haben, und bei Manfred Lautenschläger und seiner Stiftung.“
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, betonte in seiner Rede die aktuelle Bedeutung des lokalen Gedenkens: „Gerade deshalb sind lokale Gedenkzeichen, wie die Tafel, die wir heute enthüllen, so wichtig. Sie erinnern an konkrete Personen, an individuelle Leben und Schicksale. Sie machen das Grauen des beispiellosen Zivilisationsbruchs des Holocaust zumindest in Ansätzen begreifbar. Indem wir an die Namen der Ermordeten erinnern, geben wir den Opfern des Holocaust ihre Identität und ihre Würde zurück.“
Elsbeth Wagner schilderte in ihrer Ansprache die eigenen Erinnerungen sowie die Verfolgungsgeschichte der Familie Birkenfelder und stellte abschließend fest: „Ich bin dankbar, dass wir heute der neunköpfigen Familie Birkenfelder mit dieser Tafel die Erinnerung zuteilwerden lassen, die sie verdient hat. Ich habe mich lange Jahre darum bemüht.“
Quellenangaben
Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte
Thoms-Hoffmann, Ingrid: Und dann war die ganze Familie verschwunden, Rhein-Neckar-Zeitung vom 14.12.2019.
Wir danken der Stadt Sinsheim, Abteilung Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung, und Frau Melanie Wricke für die freundliche Unterstützung und die Erlaubnis zur Nutzung der hier verwendeten Fotos.