Ingolstadt, Luitpoldpark

Gedenkstele für die Sinteza Marie Herzenberger
  • Detailansicht der Stele mit dem Foto von Marie Herzenberger (Foto: Stadt Ingolstadt/Ulrich Rössle)
  • Feld mit Stelen im Luitpoldpark (Foto: Stadt Ingolstadt/Ulrich Rössle)
  • Stele für Marie Herzenberger (Foto: Stadt Ingolstadt/Ulrich Rössle)
  • Feld mit Stelen, im Hintergrund die Elemente des früheren Kriegerdenkmals (Foto: Stadt Ingolstadt/Ulrich Rössle)

Kurzinformation

Gedenkstele für die Sinteza Marie Herzenberger

Beschreibung

Die Gedenkstele ist Teil des Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus und die Toten der Weltkriege in Ingolstadt. Das dafür von Dagmar Pachtner entwickelte künstlerische Konzept umfasst drei Elemente: die Gedenkstätte im Luitpoldpark, die Kennzeichnung von historischen Ereignisorten und Biografien durch Stelen im Innenstadtbereich und die Gestaltung einer zeitgeschichtlichen Abteilung im Stadtmuseum. In dieses Gesamtkonzept wurden auch alle im Luitpoldpark bereits existierenden Kriegsdenkmale einbezogen, wie z.B. das Artilleriedenkmal und das Brigadedenkmal.

Der Luitpoldpark befindet sich auf der der Altstadt gegenüberliegenden Donauseite, etwa 900 Meter südlich der historischen Stadtmitte und rund 1,7 Kilometer nördlich des Hauptbahnhofs. Die Mahn- und Gedenkstätte liegt im nördlichen Teil des Luitpoldparks zwischen Südlicher Ringstraße und Parkstraße. In loser Gruppierung stehen dort neun 1,8 Meter hohe und blau lackierte Stahlstelen. Etwa auf Augenhöhe befinden sich in den Stelen Fotografien (Druck auf Glas) von Bürger*innen aus Ingolstadt und Umgebung, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Sie sollen stellvertretend allen NS-Opfern ein Gesicht geben und stehen zudem jeweils symbolisch für eine bestimmte NS-Opfergruppe, z.B. für die jüdischen Bürger*innen, Verfolgte aus Religionsgemeinschaften, Zwangsarbeiter*innen und politische Widerstandskämpfer*innen.

Einige der Stelen wurden bewusst ohne Fotografien aufgestellt, um Platz für später entdeckte Opfergruppen freizuhalten, so die 2019 ergänzte Stele für Marie Herzenberger, die die Opfergruppe der Sinti und Roma repräsentiert. Die Fotografien sind zunächst nicht beleuchtet, doch sobald man sich ihnen annähert – sich also mit ihnen auseinandersetzt – werden ein Blitzlicht und eine kurzzeitige Beleuchtung ausgelöst. Eine zugehörige Beschreibung informiert die Betrachter*innen über den Todeszeitpunkt der jeweiligen Person und über ihre Zugehörigkeit zu einer der vom NS-Terror verfolgten Opfergruppen.

Entstehung

Wegen Bauarbeiten wurde im Jahr 1995 die Verlegung des bestehenden „Kriegerdenkmals“ im Luitpoldpark notwendig. Es bestand aus Gedenksteinen an den Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie zwei Vertriebenengedenksteinen. Der ursprüngliche städtische Plan sah vor, sie mehr oder weniger unverändert einige Meter weiter westlich aufzustellen. Ausgehend von Mitgliedern der örtlichen Friedensbewegung wurde bei der Veranstaltung eines „alternativen“ Volkstrauertags das „Kriegerdenkmal“ kritisch hinterfragt. Dabei musste festgestellt werden, dass in Ingolstadt kein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus existierte. Da die Bauarbeiten die grundlegende Chance für Veränderungen boten, gründeten engagierte Bürger*innen die „Initiative für Mahn- und Gedenkstätten in Ingolstadt“. Es ist vor allem ihr Verdienst, dass ein Denkmal für die NS-Opfer entstehen konnte. Bis Ende des Jahres 1995 brachten die beiden Mitgründerinnen Gerda Büttner (SPD) und Petra Kleine (Bündnis 90/Die Grünen) einen Antrag in den Stadtrat ein, einen Ideenwettbewerb für die Neugestaltung eines Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus auszuschreiben.

Vor dem Hintergrund der im März 1996 anstehenden Kommunalwahlen geriet die Diskussion für ein solches Denkmal zunächst in den Hintergrund, da es nicht zum Wahlkampfthema werden sollte. Erst nach der Wahl startete die Initiative mit den beiden Stadträtinnen Büttner und Kleine ihre Aktivitäten. Sie führten unzählige Sondierungsgespräche, vor allem mit dem Kulturreferenten Gabriel Engert, dem Stadtbaurat und dem Oberbürgermeister Peter Schnell (CSU), Kirchenvertretern, der Bundeswehr und Stadtratskolleg*innen. Die Initiative und die Stadtverwaltung bereiteten daraufhin gemeinsam ein öffentliches Kolloquium zum Thema „Gedenken und Erinnern“ vor, um in Ingolstadt eine fundierte breite Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit und den Umgang damit anzustoßen. Am 15. und 16. November 1996 fand das Kolloquium mit folgenden, bundesweit renommierten Referent*innen statt: Prof. Dr. Manfred Messerschmidt, Prof. Dr. Micha Brumlik, Dr. Stefanie Endlich, Thomas Lutz, Lutz Tietmann und Prof. Friedrich Kraft. Dazu alle eingeladen, die in Ingolstadt in irgendeiner Weise betroffen sein konnten und in die Diskussion einbezogen werden sollten. Gemeinsam wurde dabei die Errichtung eines Mahnmals für die NS-Opfer beschlossen.

Im Juli 1997 gab der Stadtrat „grünes Licht“ für die Vorbereitung eines Kunstwettbewerbs, an dem 16 Künstler*innen bzw. Künstlerarbeitsgemeinschaften sowohl aus Ingolstadt und Region wie auch aus dem Ausland teilnahmen. Der Ausschreibungstext lautete:
„Im Bewusstsein der Ingolstädter Bevölkerung gibt es zwei Gruppen von Opfern der Weltkriege und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: Diejenigen, deren man mit sichtbaren Zeichen und öffentlichen Veranstaltungen gedenkt (gefallene Soldaten, Heimatvertriebene, Bombenopfer) und diejenigen, die dagegen im Hintergrund stehen, die oft versteckt, verdrängt, verschwiegen werden oder in öffentlichen Gedenkfeiern nur teilweise und verbal auftauchen (jüdische Familien, Opfer der NS-Militärjustiz, Zwangsarbeiter, politisch Verfolgte, Gewerkschafter, religiös Verfolgte, Behinderte). Beide Aufzählungen sind unvollständig, aber sie zeigen das bestehende Defizit auf. Eine gemeinsame Gedenkstätte für alle Verfolgten und Opfer zu schaffen, ist denkbar, wegen der politischen, weltanschaulichen, historischen Unterschiede jedoch schwierig zu verwirklichen. Trotzdem soll ein zentraler Ort des Erinnerns, Gedenkens und Mahnens für die Opfer des NS angestrebt werden. Ergänzt werden könnte so ein zentrales Mahnmal zu gegebener Zeit durch eine würdige Kennzeichnung historischer Orte, an denen Verfolgung stattfand und die dadurch aus dem endgültigen Verschwinden aus dem Gedächtnis der Stadt hervorgehoben werden könnten. Der künstlerischen Gestaltung des Projekts kommt eine herausragende Bedeutung zu. Sie kann Aufmerksamkeit erregen, Grundinformationen vermitteln, nachdenklich machen, erschüttern. Das bisherige Denkmal im Luitpoldpark mit seinen Elementen muß in diese Überlegungen einbezogen werden. Auf die beiden Löwen könnte gegebenenfalls verzichtet werden. Offen ist, ob das bisherige Ensemble mit dem neuen Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus räumlich vereint oder getrennt errichtet werden soll. Angestrebt wird eine einheitliche Gedenkstätte. Der Ort einer solchen Gedenkstätte soll der Luitpoldpark sein. Die Ausloberin ermuntert die Teilnehmer ausdrücklich, auch über unkonventionelle und offene Formen eines solchen Denkmals nachzudenke. Die Ausloberin fordert die Teilnehmer auf, über ein Weiterwirken ihrer Denkmalidee in die Schulen und das Stadtmuseum hinein nachzudenken und entsprechende Ideen in ihren Vorschlag aufzunehmen.“

Die impulsgebende Initiative veröffentlichte mehrere Publikationen, darunter die Diskussionsbeiträge und die Referate des Kolloquiums, den „Anderen Stadtführer – Denkstätten zur Geschichte der NS-Zeit in Ingolstadt 1918-1945“ sowie den Dokumentationsband „Gedenken und Erinnern“. Nach Abschluss des Wettbewerbs fand im Januar 1998 eine Jurysitzung statt, die sich für das Konzept der Künstlerin Dagmar Pachtner aussprach. Wegbereitend für die Umsetzung des Mahnmals war auch die aufgeschlossene Haltung des Oberbürgermeisters Peter Schnell (CSU) sowie die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Kulturreferenten Gabriel Engert. Am 26. April 1999 konnte die neugeschaffene Gedenkstätte im Luitpoldpark schließlich der Öffentlichkeit übergeben werden. Es folgten fünf Stelen im Innenstadtbereich sowie die Einrichtung einer zeitgeschichtlichen Abteilung mit „Lebensbüchern“ im Stadtmuseum im Jahr 2006.

Die Berliner Publizistin Stefanie Endlich würdigte das Konzept mit folgenden Worten: „Dagmar Pachtners Geschichts- und Erinnerungslandschaft ist frei von großer Gebärde und vordergründigem Pathos. Die Künstlerin hat die historischen Elemente ernst genommen und mit der Entwicklung neuer Bezüge und Wechselwirkungen zugleich neue Prioritäten gesetzt. Sie hat die themenspezifischen Fallstricke der Symbolismen und affektiven Arrangements vermieden und stattdessen auf gedankliche Klarheit vertraut. Das ästhetische Konzept mit seiner Farb- und Lichtwirkung und die Gesamtkomposition sind aus den Inhalten entwickelt und meistern souverän die schwierige Gratwanderung zwischen künstlerischer Autonomie und didaktischer Aufgabe."

Seit der Einweihung im Januar 2019 weist das Porträt der Ingolstädter Sintiza Marie Herzenberger auf der neunten Stele im Luitpoldpark auf den VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. an den Sinti und Roma hin. Sie wurde am 11. Juni 1943 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Die Stele ist zudem der erste öffentliche Hinweis auf die Verfolgung und Ermordung der Minderheit in der NS-Zeit in Ingolstadt. Die Feierlichkeit ihrer Einweihung begann mit einer Gedenkstunde im Barocksaal des Stadtmuseums, wo der Oberbürgermeister Christian Lösel die Gäste begrüßte. Eine Einführung in die Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma gaben Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, und Marie Herzenbergers Enkelin, Serina Roché. Diese hatte auch zusammen mit dem Stadtarchiv zum Schicksal von Marie Herzenberger geforscht. Sandro und Timo Roy sowie die Pianistin Silvia Amberger begleiteten die Gedenkstunde musikalisch Stücken aus der Filmmusik zu „Yentl“ und „Schindlers Liste“. Im Anschluss fand die Übergabe der Stele im Luitpoldpark statt.

Gestaltung

Konzipiert und gestaltet wurde das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus und die Toten der Weltkriege mit den Stelen im Luitpoldpark von der Landshuter Künstlerin Dagmar Pachtner. Sie wurde 1961 in Neustadt/Aisch geboren und studierte von 1981 bis 1986 Kunsterziehung und Germanistik an der Universität München. Seit 1988 ist sie als freischaffende Künstlerin tätig und lebt und arbeitet in Landshut. Zu den Arbeitsbereichen der Konzeptkünstlerin gehören Kunst im öffentlichen Raum, Objekte, Rauminstallationen und der grundsätzliche Ansatz, alle Medien einzubeziehen. Wichtig für Dagmar Pachtner sind das dreidimensionale Arbeiten, das Aufzeigen von Prozessen und das Auslösen von unerwarteten Reaktionen bei Betrachtenden.

Zu ihren Arbeiten zählen u.a.:
"Unternehmerinnen II", Belleparais München und Neue Galerie Landshut (2020)
"superoptimize me", STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte (2018)
"SLIGHT SHIFT", Videoarbeiten. Installationen. Loops, Landshut (2017)
"DAS GRÜNE HAUS", Frauenmuseum Bonn (2012)
"Karbit", Edition Karbit München (2010)
"Wege der Erinnerung", Gedenkstätte für die Opfer des KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit".-Außenlagers Echterdingen-Bernhausen (am Flughafen Stuttgart), Wettbewerbsrealisierung (2009/10)
"Kunst aus dem Koffer", Rotes Haus und Goethe-Institut, Sofia/Bulgarien (2007)
"Überschreitung", Heilig-Geist Kirche Landshut (Katalogbuch) (2002)
"Spektakulär unspektakulär", Galerie Antje Oltmann, München (2000)

Quellenangaben

Büttner, Gerda/ Kleine, Petra: Das neue Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus und die Toten der Weltkriege in Ingolstadt. Von der Idee zur Realisierung, in: Gedenkstättenrundbrief 91 (1999), S. 10-21, online: https://www.gedenkstaettenforum.de/aktivitaeten/gedenkstaettenrundbrief/detail/das-neue-mahnmal-fuer-die-opfer-des-nationalsozialismus-und-die-toten-der-weltkriege-in-ingolstadt.
Derstroff, Karin: „Von der Kunst des Erinnerns. Seit 20 Jahren gibt es das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Ingolstadt“, in: Donaukurier vom 25.09.2019.
Endlich, Stefanie: Das dialogische Prinzip, Anmerkungen zum Entwurf von Dagmar Pachtner, in: Mahnmal, Erinnerungsorte, Museum, die Realisierung (siehe unten), S. 12.
Federsel, Silke: „Nie vergessen!“, in: Neuburger Rundschau vom 09.02.2019.
Kaczynski, Sabine: „Gegen das Vergessen. Im Luitpoldpark erinnert jetzt die letzte freie Stele an Holocaust-Opfer Marie Herzenberger“, in: Donaukurier vom 29.11.2019.
Mahnmal, Erinnerungsorte, Museum, die Realisierung. Dokumentation zum Denkmal von Dagmar Pachtner, Ingolstadt 1998/99, hrsg. von der Initiative für Mahn- und Gedenkstätten in Ingolstadt in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Stadt Ingolstadt, Ingolstadt 1999.

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