Köln, Sülzgürtel

Stolpersteine zur Erinnerung an Sinti- und Roma-Kinder im Kinderheim Sülz
  • Stolpersteine nach dem Abschluss der Feierstunde (Foto: www.kinderheim-koeln-suelz.de)
  • Verlegeort der Stolpersteine: Sülzgürtel 43 (Foto: 1971markus@wikipedia.de)
  • Stolpersteine vor dem ehemaligen Haupteingang (Foto: 1971markus@wikipedia.de)
  • Teilnehmende der feierlichen Neuverlegung (Foto: www.kinderheim-koeln-suelz.de)
  • Gunther Demnig bei der Verlegung der Stolpersteine (Foto: www.kinderheim-koeln-suelz.de)
  • Ansprache durch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, links die Musiker Markus Reinhardt und Janko Wiegand (Foto: Raimond Spekking/Wikimedia Commons)
  • Gesamtansicht der drei Stolpersteine (Foto: 1971markus@wikipedia.de)

Kurzinformation

Stolpersteine zur Erinnerung an Sinti- und Roma-Kinder im Kinderheim Sülz

Beschreibung

Die Stolpersteine wurden vor dem ehemaligen Haupteingang zum Areal des Kinderheims Köln-Sülz im gleichnamigen Stadtteil (Stadtbezirk Lindenthal, etwa fünf Kilometer süd-westlich des Hauptbahnhofs) verlegt. Die 1917 als Waisenhaus gegründete Einrichtung war mit der Unterbringung von zeitweise bis zu 1.000 Kindern das größte Waisenhaus in Europa. Nach der Schließung im Jahr 2009 wurden die Gebäude größtenteils abgerissen und das Areal neu bebaut.

Die Stolpersteine bestehen aus Betonsteinen mit einer darauf verankerten ca. 10 x 10 cm großen Messingplatte und tragen die mit Schlagbuchstaben eingehämmerten Inschriften:
„Im Waisenhaus lebte Gertrud Rose, JG. 1939, deportiert 1944, Auschwitz, ermordet.“
„Im Waisenhaus lebte Hugo Rose, JG. 1938, deportiert 1944, Auschwitz, ermordet.“
„Im Waisenhaus lebte Ilga Grünholz, JG. 1939, deportiert 1943, Auschwitz, ermordet.“

Die Geschwister Gertrud und Hugo Rose gelangten in das Kinderheim, nachdem man zunächst ihren Vater Oswald Rose im Juni 1939 nach Dachau (später nach Buchenwald und Mauthausen) und  im Frühjahr 1942 ihre Mutter Johanna Rose in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Ravensbrück verschleppt hatte. Der Vater wurde im August 1941 in der Tötungsanstalt Schloss Hartheim ermordet. Seine Frau überlebte als einziges Familienmitglied den VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. und starb im Jahr 2000 im Alter von 83 Jahren. Gertrud und Hugo wurden am 22. Februar 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo beide ermordet wurden.

Die Eltern und drei Geschwister von Ilga Grünholz wurden bereits im Mai 1940 im Rahmen der sogenannten „Mai-DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet.“ aus dem Rheinland in das besetzte Polen verschleppt. Die Familie gehörte der Gruppe der Lovara-Roma an. Ilga gelangte zu einem nicht überlieferten Zeitpunkt in das Kinderheim am Sülzgürtel. Aus erhaltenen Akten geht hervor, dass das Kinderheim selbst die Polizei auf das Roma-Mädchen aufmerksam machte. Ilga Grünholz wurde daraufhin am 3. März 1943 zusammen mit zwei Geschwistern und ihrer Großmutter nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort am 24. April 1943 ermordet.

Entstehung

Die drei Stolpersteine waren ursprünglich im Jahr 2001 verlegt worden, jedoch anonymisiert ohne Nennung der Namen. Bei Abrissarbeiten auf dem Gelände des Kinderheims hatten Vorstandsmitglieder des „Fördervereins Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sulz“ (FEKS) die Steine an sich genommen, um sie vor dem Verschwinden und weiteren Beschädigungen zu schützen.  Der Vorstand des FEKS erreichte nach dem Abschluss der Neubauten auf dem Gelände, dass die drei Steine durch Gunter Demnig neu verlegt wurden. Dabei fiel auch die Entscheidung, die drei Kinder mit ihren vollständigen Namen zu nennen. Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln übernahm die biografischen Recherchen und ließ neue Inschriften anfertigen. Die Patenschaft für die Stolpersteine übernahm die evangelische Kirchengemeinde der Johanneskirche Sülz-Klettenberg.

Die Neuverlegung der Stolpersteine erfolgte im Rahmen einer vom Rom e.V. Köln organisierten Feierstunde und in Anwesenheit der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Musikalisch wurde die Veranstaltung vom Kölner Musiker Markus Reinhardt und dem Gitarristen Janko Wiegand begleitet. Utz Ingo Küpper vom FEKS betonte in seiner Ansprache: „Heute gedenken wir besonders der verschleppten und ermordeten Sinti- und Roma-Kinder und der Schuld, die unser Volk und unsere Stadt auf sich geladen haben, indem sie die ihnen anvertrauten Kinder nicht geschützt haben. Hier im Kinderheim, das damals unter der Leitung des Nazi-Direktors und EuthanasieAktion T4 "Aktion T4" ist eine Nachkriegs-Bezeichnung für den systematischen Mord der Nationalsozialisten an behinderten Menschen in Deutschland und Österreich. „T4“ war die Abkürzung für die Adresse, von der aus die Morde organisiert wurden (die „Tiergartenstraße 4“ in Berlin). Mehr als 70.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen wurden in den Jahren 1940/41 in den sechs Tötungsanstalten Grafeneck, Bernburg, Hadamar, Hartheim, Pirna-Sonnenstein und Brandenburg in Gaskammern ermordet. Die Opfer stammten aus allen Schichten der Gesellschaft. Vor allem Menschen, die aus der Sicht von Ärzten keine brauchbare Arbeit leisteten konnten, viel Pflege benötigten oder störten, waren von der Ermordung bedroht. Die Nationalsozialisten nutzten zur Verschleierung des Massenmords Begriffe wie „Euthanasie“ (griechisch = guter/leichter/schöner Tod) oder „Aktion Gnadentod“. Nach Protesten aus der Bevölkerung und der Kirche wurden die Tötungen zunächst offiziell eingestellt, heimlich aber noch bis zum Kriegsende weiter geführt. Unabhängig davon wurden auch in den besetzten oder annektierten Gebieten Polens und der Sowjetunion zehntausende kranke und behinderte Menschen ermordet. Schätzungen gehen von insgesamt zwischen 200.000 und 300.000 Opfern der NS-Krankenmorde aus.-Kollaborateurs Tillmann stand, wurden Ilga, Hugo und Gertrud freigegeben für eine Reise in den Tod, nach Auschwitz.“ Im Gedenken an die ermordeten Kinder legten die Anwesenden weiße Rosen neben den Stolpersteinen ab.

Die „Stolpersteine“ gehen u.a. auf zwei Aktionen zurück, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma standen. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten Deportation der Kölner Sinti und Roma im Mai 1940 zeichnete Gunter Demnig 1990 eine Kreidespur von ihren Wohnorten bis zum Sammellager in den Kölner Messehallen.

Am 16. Dezember 1992 verlegte der Künstler vor dem Alten Kölner Rathaus eine Messingplatte im Pflaster. Sie erinnerte an den 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma in das KZ Auschwitz-Birkenau. 1996 verlegte Gunther Demnig die ersten Stolpersteine in Berlin. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder ermordet wurden.

Bis heute erinnern über 100.000 Steine in Deutschland und 30 weiteren europäischen Ländern an Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die Stolpersteine zum größten dezentralen Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltung

Gunther Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1967 studierte er zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Berlin und Kunstpädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Dort legte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern „Bildende Kunst“ und „Werken“ ab. Nach einem Studium „Freie Kunst“ an der Universität Kassel von 1974 bis 1977 arbeitete er zunächst im Bereich der Denkmalsanierung sowie zwischen 1980 und 1985 als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel.

Seit 1985 unterhält er ein Atelier in Köln. Gunter Demnig ist seit 1987 Mitglied im Internationalen Künstlergremium. Dieser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Kritikern setzt sich für Kunst-, Informations- und Pressefreiheit sowie für kulturelle Selbstbestimmung, Toleranz und kulturelle Vielfalt ein. Nach den Aktionen zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma in den Jahren 1990 und 1992 entwarf Gunther Demnig 1993 das Projekt „Stolpersteine“. 1996 fand die erste Steinverlegung in Berlin-Kreuzberg statt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt war und erst später legalisiert wurde.

Für sein Projekt „Stolpersteine“ erhielt Gunther Demnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di, 2006 den Bertini-Preis der Stadt Hamburg und 2011 die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Titel „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Gunther Demnig lebt in Frechen bei Köln.

Internetseite von Gunter Demnig http://www.gunterdemnig.de/

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Hesse, Hans: Stolpersteine. Idee, Künstler, Geschichte, Essen 2017
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt, Köln 2007
Liste der Stolpersteine in Köln, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_K%C3%B6ln am 24.07.2024
Stolpersteinverlegung am ehemaligen Sülzer Kinderheim, https://www.kinderheim-koeln-suelz.de/forum/index.php?id=5267 am 24.07.2024
Orte der Erinnerung. Das Projekt des Fördervereins Erinnerungsorte Kinderheim Köln-Sülz e.V. (FEKS), https://kinderheim-koeln-suelz.de/?page_id=2526 am 24.07.2024

Wir danken Peter Halberkann für die freundliche Unterstützung und die Erlaubnis zur Nutzung der hier verwendeten Fotos der Internetseite www.kinderheim-koeln-suelz.de. 1971markus und Raimond Spekking danken wir für die von ihnen angefertigten und auf Wikimedia Commons bereitgestellten Fotoaufnahmen.

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