Beschreibung
Die Gedenktafel befindet sich am Kinder- und Jugendhaus St. Elisabeth der Caritas Mecklenburg, rund 500 Meter westlich des Neustrelitzer Hauptbahnhofs und etwa 700 Meter nordwestlich des Marktplatzes. Das Gebäude wurde mit Unterbrechungen bereits seit 1922 als Kinderheim genutzt.
Die Gedenktafel aus Acrylglas mit polierten Kanten und einer Größe von 50 x 75 cm wurde auf einer Fläche der Außenfassade links neben dem Eingang und zwischen zwei Fenstern angebracht. Es zeigt ein historisches Foto von vier der insgesamt fünf deportierten Sinti-Kinder und trägt folgende Inschrift:
„Aus der Gemeinschaft dieses Heims wurden am 8. März 1943 5 Sinti-Kinder herausgerissen und in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz deportiert. Alle fielen dem VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. zum Opfer.
Fritz Wagner, 4 Jahre alt
Paul Wagner, 7 Jahre alt
Max Groß, 9 Jahre alt
Franz Rose, 13 Jahre alt
Alex Rose, 10 Jahre alt
Vergesst sie nicht“
Entstehung
Die Gedenktafel geht auf Initiative der Neustrelitzer Bürger Josef Wagner und Dr. Ernst Dörffel zurück. Anlass dazu gab eine Fotoserie, die vom Kaplan der katholischen GemeindeKommune / Gemeinde Bezeichnung für die kleinste öffentliche Verwaltungseinheit in der Organisation eines Staates., Heinrich Kottmann (1915-1998), heimlich aufgenommen worden war. Sie zeigt die DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. der Sinti-Kinder am 8. März 1943 aus dem katholischen Kinderheim in Neustrelitz. Die Fotos gehören zu den wenigen fotografischen Zeugnissen, welche die Deportation von Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau dokumentieren. Zugleich sind es die einzigen überlieferten Fotografien der Deportation und Verfolgung von Sinti und Roma, die nicht aus Täterperspektive aufgenommen wurden. Im Jahr 1990 übergab der Kaplan ein persönliches Fotoalbum, in dem sich u.a. auch die betreffenden Aufnahmen befanden, an die katholische Gemeinde in Neustrelitz. Doch erst auf Initiative von Josef Wagner, der sich um das Kirchenarchiv kümmerte und den Kaplan Kottmann noch persönlich kannte, kam ein Prozess ins Rollen, das Schicksal der abgebildeten Kinder zu erforschen. Josef Wagner knüpfte Kontakt zu Ernst Dörffel, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits für die Verlegung von Stolpersteinen in Neustrelitz engagierte.
Da bis auf die reine fotografische Überlieferung kaum Informationen zu den Sinti-Kindern bekannt waren, wandte sich Ernst Dörffel an das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. In enger Zusammenarbeit gelang es schließlich, die Namen und das Schicksal der Kinder aufzuklären. Während dieses Aufarbeitungsprozesses entstand die Idee, anstelle von Stolpersteinen eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Sinti-Kinder am Ort ihrer Deportation anzubringen.
Die feierliche Enthüllung der Tafel erfolgte am 11. Juni 2012 in Anwesenheit des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kunst, Mathias Brodkorb, des Schweriner Weihbischofs Norbert Werbs und des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. Sie fand im Anschluss an den Auftakt des vom Anne-Frank-Zentrums initiierten Projekts „Kriegskinder - Lebenswege bis heute“ statt. Bei dem Projekt ging es darum, junge Menschen mit der Nachkriegsgeneration in einen Dialog treten zu lassen und über deren Kriegserfahrung zu sprechen. Ziel dabei war es, gesellschaftliche Teilhabe zu fördern, Vorurteile zwischen den Generationen abzubauen und Verständnis füreinander zu stärken.
Romani Rose betonte in seiner Ansprache: „Diese Gedenktafel, die dem Gedenken an unschuldige Kinder gewidmet ist, ist keineswegs nur rückwärtsgewandt. Sie ist auch ein Beitrag für unsere heutige Gesellschaft, in der Menschenverachtung keinen Platz mehr haben darf. […] Für die Zukunft wird entscheidend sein, die Herzen und Köpfe der jungen Generation für demokratische Werte und MenschenrechteMenschenrechte Menschenrechte gelten für alle Menschen, gleichgültig in welchem Land oder Staat der Erde sie leben. Die Idee, genau festzulegen, welche Rechte dies sind, gibt es schon seit langer Zeit. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Vereinten Nationen (UNO) daran, diese Rechte schriftlich zu verfassen und den einzelnen Ländern zur Unterzeichnung vorzulegen. Am 10. Dezember 1948 wurde von der UNO die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Die Menschenrechte gelten also für alle Menschen, unabhängig von nationaler oder sozialer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Vermögen, politischer, religiöser oder sonstiger Einstellung. Zahlreiche wichtige Punkte sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in 30 Artikeln festgelegt, vom Verbot von Diskriminierung, Folter oder Sklaverei über die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Bildung, Eigentum oder Arbeit bis zum Asylrecht oder zur Gewissens-, Glaubens- und Meinungsfreiheit.
Die meisten Staaten haben die Menschenrechtserklärung unterzeichnet. Dennoch gibt es in vielen Ländern (auch in solchen, die unterzeichnet haben) Menschenrechtsverletzungen. Viele Einrichtungen in den verschiedenen Ländern beobachten die jeweilige Menschenrechtssituation und der Europarat veröffentlicht jährlich einen Bericht, in dem er die Situationen in den einzelnen Ländern beschreibt. zu gewinnen. Um junge Menschen zur Zivilcourage zu erziehen, brauchen wir Beispiele aus der Geschichte, die als Vorbilder dienen: mutige Männer und Frauen, die trotz der Gefahren für sich und ihre Familien nicht die Augen verschlossen, sondern sich dem Unrecht widersetzten. Zu diesen mutigen Menschen gehörte Heinrich Kottmann, der damalige Kaplan der katholischen Gemeinde Neustrelitz. Mit seiner Kamera hat er das Leben der Sinti-Kinder im Heim festgehalten. Vor allem aber hat er den Abtransport der Kinder heimlich aus dem ersten Stockwerk des Heims durch die Fensterscheibe fotografiert. Zweifellos war er sich des großen Risikos bewusst, das damit für ihn verbunden war.
Kaplan Kottmann verdanken wir die letzten Zeugnisse der Kinder, deren Weg auf so tragische Weise in Auschwitz endete. Er gehört zu den Menschen mit Gewissen und aufrechtem Gang, die uns vorgemacht haben, was Mut und Solidarität für eine menschenwürdige Welt bedeuten. Auch an ihn wollen wir heute erinnern.”
Im Anschluss an die Feierstunde wurde im Kulturzentrum „Alte Kachelofen Fabrik“ der Dokumentarfilm „Auf Wiedersehen im Himmel“ über das Schicksal von Sinti-Kindern im katholischen Kinderheim in Mulfingen/Jagst gezeigt. Das Programm endete mit der Möglichkeit zum Dialog und Austausch der Teilnehmenden.
Die aus zivilgesellschaftlichem Engagement hervorgegangene Gedenktafel ist seit ihrer Enthüllung zu einem wichtigen Ort der Erinnerung und der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus in Neustrelitz geworden. Regelmäßig finden Jugendprojekte und Gedenkfeiern statt, die den Ort einbinden und an das Schicksal der Kinder erinnern.
Gestaltung
Die Gestaltung wurde von der „Graphischen Werkstatt“ in Neustrelitz ausgeführt.
Quellenangaben
Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte
Reuter, Frank: Die Deportation von Sinti-Kindern aus dem katholischen Kinderheim Neustrelitz. Fotografische Überlieferungen und historischer Kontext, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland (Heft 14), Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus, Bremen 2012, S. 167-184.
Steffen, Marlies: Neustrelitzer Demokraten bringen beispiellose Zeit-Dokumente ans Licht, in: Nordkurier, 8. März, 2012, S. 16.