Saliers, Internierungslager

Ausgrenzung, Internierung und Deportation französischer Sinti und Roma

Kurzinformation

Ausgrenzung, Internierung und Deportation französischer Sinti und Roma

Entstehung des Lagers

Nach dem Überfall der deutschen WehrmachtWehrmacht Die Armee des nationalsozialistischen Deutschlands wurde seit 1935 als "Wehrmacht" bezeichnet. Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht erfolgte ab 1935 der rasche Ausbau der Wehrmacht, in die neben dem Heer auch die Marine und die Luftwaffe eingegliedert waren. Oberster Befehlshaber der Wehrmacht war Hitler, die Befehls- und Kommandogewalt hatte der Reichskriegsminister. auf Frankreich und der Unterzeichnung des Waffenstillstands am 22. Juni 1940 wurde das Land in drei Bereiche aufgeteilt. Elsass und Lothringen wurden vom Deutschen Reich annektiertAnnexion Annexion ist vom lateinischen Wort „annectere“ abgeleitet, was „anknüpfen“ oder „anbinden“ bedeutet. Annektieren meint, etwas gewaltsam und widerrechtlich in seinen Besitz bringen, z.B. die gewaltsame und widerrechtliche Vereinnahmung eines fremden Gebiets durch einen Staat.. Während die deutsche Armee den Norden des Landes mit der Hauptstadt Paris sowie der französischen Kanal- und Atlantikküste bis hin zur spanischen Grenze besetzte (die „Nordzone“) wurde die verbleibende „Südzone“ der Vichy-RegierungVichy-Regierung Löste nach dem Überfall der Wehrmacht auf Frankreich ab Juli 1940 die Dritte Französische Republik ab und richtete ihren Sitz im Kurort Vichy in der Auvergne ein. Staatschef wurde Henri Philippe Pétain, ein gefeierter Kriegsheld aus dem Ersten Weltkrieg. Seiner Regierung unterstanden rund 40 Prozent des französischen Staatsgebiets („Südzone“) mitsamt den Kolonien sowie ein 100.000 Mann starkes Heer. Pétain führte ein autoritäres Regime, um durch Zusammenarbeit mit Deutschland möglichst viel Eigenständigkeit für Frankreich zu erhalten. Dazu gehörten u.a. eine massive Pressezensur, die Unterdrückung der politischen Opposition sowie die Ausgrenzung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung und der Sinti und Roma. 1942 wirkten die Verwaltung und die Polizei mit bei den Deportationen nach Auschwitz. Im November 1942 besetzten deutsche Truppen die „Südzone“, so dass sich der Einfluss und die Handlungsmöglichkeiten der Vichy-Regierung deutlich verringerten. Nach der Landung der Alliierten brach die Regierung im August 1944 zusammen. Pétain wurde 1945 wegen Hoch- und Landesverrats zum Tod verurteilt, dann jedoch zu lebenslänglicher Haft begnadigt. unterstellt. Die Verfolgung der Sinti und Roma begann in der zweiten Hälfte des Jahres 1940 mit ihrer Zwangsvertreibung aus dem Elsass. Am 4. Oktober 1940 ordnete der Oberbefehlshaber des Heeres schließlich die zwangsweise „Überführung“ von Sinti und Roma in „Sammellager“ an.

Nachdem amerikanische und schweizerische Zeitungen die Lebensbedingungen in den südfranzösischen Internierungslagern kritisiert hatten, beschloss die Vichy-Regierung im März 1942 die Errichtung eines „Modelllagers“ zur Internierung von Sinti und Roma. Es entstand vier Kilometer südlich von Saliers, einem Dorf in der Camargue. Die Entscheidung für diesen Standort war zudem stark symbolisch geprägt: Die Camargue galt als „Wiege“ der französischen Sinti und Roma. Im unweit entfernten Saintes-Maries-de-la-Mer trafen sich zudem jährlich zahlreiche Pilger zu Ehren der heiligen Sara, die von vielen Sinti und Roma als Schutzheilige verehrte wird. Der verantwortliche Architekt Jacques van Migom entwickelte den Plan, dem mit Stacheldraht umgebenen InternierungslagerInternierungslager Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurden in den besetzten Staaten, z.B. in Frankreich, Internierungslager errichtet. Sinti und Roma wie auch die jüdische Bevölkerung wurden dorthin gebracht, um sie von der übrigen Bevölkerung zu isolieren. Die Lager mit menschenunwürdigen Lebensbedingungen wurden häufig zu Durchgangsstationen bei den Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager. das verharmlosende Aussehen eines regionaltypischen Dorfes mit 30 Hütten aus weißgekalkten Mauern und Schilfdächern zu geben. Nur wenige Monate später wurde das „Modelllager“ formal am 15. Juni 1942 eröffnet, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch kein Mietvertrag mit dem Eigentümer des Geländes bestand und die Verhandlungen mit den lokalen Wasserversorgern über den Anschluss des Lagers nicht abgeschlossen waren. Erst später wurde das Areal vom Innenministerium beschlagnahmt.

Sinti und Roma im Lager Saliers

Die ersten Insassen trafen am 3. Juli, 21. Juli und 9. August 1942 aus dem Internierungslager Rivesaltes ein. Die 78 Männer wurden als Zwangsarbeiter beim Aufbau des Lagers eingesetzt. Da Wachpersonal fehlte, gelang 21 von ihnen die Flucht aus dem Lager. Fünf von ihnen kehrten jedoch zu ihren Familien in das Lager Rivesaltes zurück. Im November 1942 wurden 299 Männer, Frauen und Kinder aus dem aufgelösten Internierungslager Rivesaltes nach Saliers gebracht. Dabei handelte es sich vor allem um Familienangehörige der zuvor dorthin transportierten Männer. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch nur 24 Unterkünfte fertiggestellt worden waren, mussten die Menschen in sehr beengten Verhältnissen hausen.

Nachdem das Lager zunächst dem Arbeitsministerium unterstellte war, wechselte es im Januar 1943 in die Zuständigkeit des Innenministeriums. Durch Entlassungen sank die Anzahl der Insassen von 306 im Januar auf 235 im Februar, 258 im April und schließlich 171 im Mai. Erst in der zweiten Jahreshälfte stieg die Anzahl der Internierten wieder an: Im Oktober befanden sich 237 und im Dezember 320 Insassen im Lager. Albert Robini, der ab April 1943 die Leitung des Lagers innehatte und mit der Widerstandsbewegung verbunden war, ließ Fluchten aus dem Lager zu, da er die DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. der Insassen nach Deutschland oder eine Bombardierung der Gebäude fürchtete. Und tatsächliche wurde das Lager am 17. August von Alliierten bombardiert, die es vermutlich für ein Militärlager hielten. Die dabei entstehenden chaotischen Umstände nutzten 137 der Internierten für eine Flucht. Wenig später wurde das Lager am 25. August geräumt und am 15. Oktober offiziell aufgelöst.

Lebensbedingungen

Das Lager Saliers war neben dem Lager Lannemezan das einzige Lager in der „Südzone“, welches ausschließlich der Internierung von Sinti und Roma diente. Insgesamt wurden 677 Menschen – meist französischer Nationalität – dort gefangen gehalten. Zwischen 30 und 40% von ihnen waren Kinder. Insgesamt 227 der Jungen und Mädchen wurden ohne Zustimmung von ihren Eltern getrennt und nach Arles und Marseille gebracht, wo sie in öffentlichen Fürsorgeeinrichtungen untergebracht wurden und „umerzogen“ werden sollten.

Die Lebensbedingungen im Lager waren äußerst schwer und von dem rauen Klima geprägt: Es herrschten stark wechselhafte Temperaturen, extreme Sommerhitze und starke Mistral-Winde. Die primitiven und 4x8 Meter großen Hütten besaßen keinen festen Fußboden, keine Heizung, kein fließendes Wasser und keine Abwasserentsorgung. Zudem gab es bis 1944 keine Elektrizität. Mit zunehmender Internierungsdauer bestand die ursprüngliche Kleidung der Insassen (sie waren zum Großteil bereits im August 1940 von den Nazis aus dem Elsass vertrieben und später in verschiedenen Lagern der Südzone interniert worden) nur noch aus Lumpen. Bedingt durch die völlig unzureichenden Sanitäranlagen breiteten sich Krankheiten schnell aus. Wenig nahrhaftes Gemüse wie Tomaten, Zucchini und Kohl bildete 1942 und 1943 den Hauptbestandteil der Ernährung. Im Dezember 1943 verbesserte sich die Lage etwas, weil die Rationen der Internierten an die Verpflegung von Gefängnisinsassen angepasst wurden und fortan auch kleine Portionen Brot, Kartoffeln, Nudeln, Zucker und Fleisch umfassten. Dies vermochte jedoch nicht, der fortwährenden Mangelernährung der Internierten entgegenzuwirken. Mindestens 25 Menschen, darunter 6 Kinder, starben infolge der schlechten Lebensbedingungen.

Quellenangaben

Literatur und Internet
Camp de Nomades de Saliers-Arles (Bouches-du-Rhône) 1942-1944, in: Mémorial des Nomades de France (http://memorialdesnomadesdefrance.fr/camp-de-saliers-arles-bouches-du-rhone-1942-1944 online am 20.11.2021).
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Filhol, Emmanuel: Le contrôle des Tsiganes en France (1912-1969), Karthala, 2013.
L’internement des nomades, une histoire française (1940-1946), in: Mémorial de la Shoah (http://www.memorialdelashoah.org/wp-content/uploads/2018/11/dp_mds_nomades.pdf online am 20.11.2021).
Megargee, Geoffrey: The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps, Indiana University Press, 2009.
Peschanski, Denis: Les camps français d’internement (1938-1946) (https://tel.archives-ouvertes.fr/tel-00362523/document online am 20.11.2021).
Saliers - Fondation pour la mémoire de la déportation (http://www.bddm.org/int/details.php?id=73056&display=0 online am 20.11.2021).
Sigot, Jacques: Les Camps, in: Études tsiganes (1995) Nr. 2 (http://www.memoires-tsiganes1939-1946.fr/Les%20Camps%20pour%20Etudes%20Tsiganes,%
20illustr%E9,%2014%20ao%FBt%202009.pdf
online am 20.11.2021).
Pioch, Nathalie: Un camp d’internement pour les Nomades en Camargue, in: La Marseillaise 2017 (https://www.lamarseillaise.fr/culture/un-camp-d-internement-pour-les-nomades-en-camargue-AHLM062570 online am 20.11.2021).

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