Braunschweig, Rathaus

Gedenkstätte für die deportierten und ermordeten Braunschweiger Sinti und Roma
  • Blick auf die Namenswand (Foto: Stadt Braunschweig, FB Kultur)
  • Detailansicht (Foto: Stadt Braunschweig, FB Kultur)
  • Detailansicht (Foto: Stadt Braunschweig, FB Kultur)

Kurzinformation

Gedenkstätte für die deportierten und ermordeten Braunschweiger Sinti und Roma

Beschreibung

Der Erinnerungs- und Gedenkraum befindet sich rechterhand im Foyer des historischen Altbaus des Braunschweiger Rathauses, gegenüber dem Dom. Man erreicht den Gedenkraum über den Haupteingang am Platz der Deutschen Einheit. Acht Reihen mit jeweils drei kunststoffbespannten, leicht durchscheinenden Feldern im Format 80 x 80 cm tragen die Namen von 124 Deportierten. Durch die Nennung der Namen sollen die Opfer aus der Anonymität geholt werden. Rechts neben den Namensfeldern steht eine schwarze Stele mit folgender Inschrift:

„In den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft wurden die Braunschweiger Sinti verfolgt. Der Weg der Ausgrenzung und Entrechtung sollte in die endgültige Vernichtung führen.  Wir gedenken der Menschen, die von den Nationalsozialisten am 3. März 1943 in das KonzentrationslagerKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz-Birkenau deportiert worden sind.  Nur wenige überlebten.

Wir Braunschweiger Bürger gedenken der Sinti. Es waren unsere Nachbarn. Ihre Namen und Schicksale werden wir in unserer Erinnerung bewahren.

Des Menschen nicht geachtet
(Jesaja 33,8)
Die Stadt Braunschweig“

Entstehung

Den Ausgangspunkt und die Grundlage zur Schaffung eines Erinnerungsortes für die deportierten und ermordeten Braunschweiger Sinti und Roma bildete das im Februar 2001 vom Rat der Stadt beschlossene „Konzept zur Planung, Errichtung und Gestaltung städtischer Erinnerungsstätten zur nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Das damals bundesweit in seiner Breite einzigartige Konzept war über zwei Jahre lang durch Einzelpersonen, Gruppen und Verbände zumeist in ehrenamtlicher Arbeit entwickelt worden. Daraus entstand der Ansatz kein zentrales Mahnmal zu schaffen, sondern einen zentralen Anlauf- und Informationsort verbunden mit dezentralen Orten des Erinnerns im Stadtgebiet zu etablieren. Die Funktion des Knotenpunktes der städtischen Gedenk- und Erinnerungsarbeit übernimmt seitdem die "Gedenkstätte KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit".-Außenlager Braunschweig Schillstraße" in Trägerschaft des „Arbeitskreises Andere Geschichte e.V.“ .

Das Gedenkstättenkonzept hielt fest und empfahl: „Im Rahmen der Arbeitsgruppe wurde erörtert, ob es weitere Orte der Erinnerung an bestimmte Opfergruppen oder historische Begebenheiten gibt, die einer künstlerischen Gestaltung bedürfen, um das dort Geschehene stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken. Hierzu gehören die Sinti und Roma. […] Da die Sinti und Roma über keinen eigenen Ort in der Stadt verfügen, erscheint es dringend notwendig, an einer zentralen Ader des öffentlichen Lebens einen symbolischen Raum zu schaffen, in dem an das Schicksal dieser marginalisierten Gruppe erinnert wird. Auch nachdem dieser VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. von den Bundeskanzlern Helmut Schmidt (1982) und Helmut Kohl (1983) mit großer Verspätung offiziell anerkannt wurde, zog sich die Errichtung von Gedenksteinen oder -tafeln bundesweit noch sehr lange hin. Braunschweig sollte hier nicht länger zögern, seiner ermordeten und verfolgten Bürgerinnen und Bürger zu gedenken. […] Die Vertreter der Sinti und Roma sind in die Gestaltung der Erinnerungsstätte, die im Rathaus eingerichtet werden soll, einzubeziehen.“

Die hier zum Ausdruck gebrachte direkte Einbindung der Sinti und Roma in weitere planerische Konzepte war ein wichtiges gesellschaftliches und politisches Signal: Im Dialog sollte der zukünftige Erinnerungsort entstehen. Zudem hatte der Niedersächsische Verband Deutscher Sinti e.V. bereits unabhängig von der Entwicklung eines städtischen Konzeptes zur Erinnerungsarbeit die Schaffung eines Erinnerungsorts angeregt. Zur Erforschung der historischen Zusammenhänge gab die Stadt Braunschweig im Jahr 2000 ein Forschungsprojekt in Auftrag, dessen Ergebnisse vom Historiker Raimond Reiter zwei Jahre später in Buchform der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnten.

Zur Realisierung des Erinnerungsortes schrieb die Stadt Braunschweig schließlich einen künstlerischen Wettbewerb aus. Die im Rahmen des Forschungsprojekts recherchierten 124 Opfernamen sollten Bestandteil der Erinnerungsstätte werden, die einen Platz in der Öffentlichkeit erhalten und zugleich eine Atmosphäre der Stille und Trauer zulassen sollte. Eine Jury unter dem Vorsitz des Präsidenten der Hochschule für Bildende Künste, Prof. Dr. Michael Schwarz, wählte den Entwurf des Braunschweiger Künstlers Ohannes Tapyuli zur Umsetzung aus.

Auch wenn sich der Niedersächsische Sinti-Verband für die Gestaltung eine eindringlichere Symbolik gewünscht hatte, konnte im Oktober 2002 einvernehmlich die Einweihung des Erinnerungsortes erfolgen. Sie fand symbolisch an dem Jahrestag statt, an dem Heinrich Himmler mit dem so genannten "FestschreibungserlassFestschreibungserlass Der Festschreibungserlass war eine Anordnung von Heinrich Himmler (dem Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei) vom 17. Oktober 1939. Darin wurde den Sinti und Roma verboten, ihren Wohn- und Aufenthaltsort ohne vorherige Genehmigung zu verlassen. Selbst für Besuche bei auswärtigen Verwandten mussten vorher Passierscheine beantragt werden, um sich nicht strafbar zu machen. Bei Zuwiderhandlungen drohten Verhaftung und Einweisung in ein Konzentrationslager." in Vorbereitung erster Deportationen den Sinti und Roma untersagte, ihre Wohnorte zu verlassen: dem 17. Oktober 1939. Damit wurde ein wichtiger städtischer Erinnerungsort geschaffen, der inzwischen regelmäßig im Mittelpunkt von jährlichen Gedenkveranstaltungen am 3. März zur Erinnerung an die DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. der Männer, Frauen und Kinder nach Auschwitz steht.

Gestaltung

Die Gestaltung des Erinnerungs- und Gedenkraums wurde von Ohannes Tapyuli entworfen. Geboren 1944 in Kangal (Türkei) besuchte er von 1952 bis 1963 ein armenisches Klosterinternat in Istanbul. Nach seinem Abitur studierte er Kunstgeschichte an der Universität Istanbul und siedelte 1966 in die Bundesrepublik Deutschland über. An der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart absolvierte er das Studium der Malerei und nahm eine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig an.

Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Spanien war er 1984 und 1985 Studiengast der Villa Massimo. Danach kehrte er nach Braunschweig zurück, wo er heute lebt und arbeitet. Als ordentliches Mitglied des Deutschen Künstlerbundes beteiligte sich Ohannes Tapyuli zwischen 1973 und 1985 insgesamt zehnmal an den großen DKB-Jahresausstellungen. Seine Arbeiten wurden mit dem Kunstpreis der Stadt Nordhorn (1979), dem Bernhard Sprengel-Preis für Bildende Kunst (1981) und dem Villa Massimo Preis (1983) ausgezeichnet. Mit den nationalsozialistischen Verbrechen setzte er sich auch in der Gedenkstätte Buchenwald auseinander, wo er 1995 die Installation „Europa“ schuf.

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Gedenkstättenkonzept der Stadt Braunschweig am 25.3.2020

Niedersächsischer Verband Deutscher Sinti e.V. (Hrsg.): Aus Niedersachsen nach Auschwitz. Die Verfolgung der Sinti und Roma in der NS-Zeit, Bielefeld 2004.
Reiter, Raimond: Sinti und Roma im "Dritten Reich" und die Geschichte der Sinti in Braunschweig, Marburg 2002.

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