Braunschweig, Sandanger

Erinnerungstafel für das Zwangslager Veltenhof und die aus Braunschweig deportierten Sinti
  • Detailansicht der Erinnerungstafel (Foto: Andreas Pflock)
  • Lage der Erinnerungstafel am Sandanger (Foto: Andreas Pflock)
  • Sandanger mit Tafel und ehem. Lagerstandort links hinter dem Bahnübergang (Foto: Andreas Pflock)
  • Erinnerungstafel auf dem Areal vor den Gleisen der Hafenbahn (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Erinnerungstafel für das Zwangslager Veltenhof und die aus Braunschweig deportierten Sinti

Beschreibung

Die Tafel befindet sich nördlich des Braunschweiger Zentrums im Stadtteil Veltenhof zwischen den Autobahnen A 2 und A 391 und rund einen Kilometer vom Braunschweiger Hafen entfernt. Sie wurde auf einem Areal zwischen der Bebauung des Sandangers und den Schienen der Hafenbahn aufgestellt. Der historische Lagerstandort befand sich in unmittelbarer Nähe auf der gegenüberliegenden (östlichen) Seite des Bahnübergangs und ist heute eine Freifläche. Die in einem Edelstahlrahmen befestigte Tafel ist Teil des Brauschweiger Leit- und Informationssystems für Kulturdenkmale (BLIK). Sie zeigt das einzige überlieferte Foto des Lagers vom 30. September 1940 und informiert mit folgendem Wortlaut über die Geschichte des Ortes:

„Auf dem Gelände zwischen Hafenbahn und der ‚Kippe`, die bei der Anlage des Hafens aufgeschüttet worden war, befand sich seit Mitte 1938 ein ‚Sammellager‘. Hier wurden auf Vorschlag des Braunschweiger Oberbürgermeisters Dr. Wilhelm Hesse und auf Anordnung des nationalsozialistischen Ministerpräsidenten Dietrich Klagges Braunschweiger Sinti von unterschiedlichen Wohnplätzen zusammengeführt. Für die Verwaltung war der Gemeindebürgermeister von Veltenhof zuständig. Schon bald lebten 244 Sinti in 44 Wohnwagen auf dem Platz. Alle wurden von der Kriminalpolizei erkennungsdienstlich erfasst. Sie gingen zur Arbeit in die Stadt oder halfen auf umliegenden Bauernhöfen. An der Volksschule Veltenhof gab es ab September 1938 eine separate ‚Zigeunerklasse‘. Die Bewohnerzahl des Sammellagers stieg in den folgenden Jahren noch. Am Morgen des 3. März 1943 wurde das Lager von Gestapo, Kriminal- und Schutzpolizei umstellt. Auf Befehl des Reichsführers-SSSchutzstaffel Die Schutzstaffel (kurz: SS) war 1925 als persönliche Leibwache Hitlers gegründet worden. Den höchsten Dienstgrad innerhalb der SS stellte seit 1934 der „Reichsführer SS“ dar. Bis 1945 nahm Heinrich Himmler diese Position ein. Unter seiner Leitung wurde die SS zu einer Eliteeinheit aufgebaut, die zum zentralen Instrument des staatlichen Terrors wurde. Die SS hatte im Rahmen der „Endlösung“ maßgeblichen Anteil am Völkermord an den europäischen Juden sowie den Sinti und Roma. waren alle ‚zigeunerischen Personen‘ in ein KonzentrationslagerKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". zu bringen. Die Bewohner des Sammellagers wurden auf einem Braunschweiger Bahnhof in einen Zug verladen. Ziel des Transportes war das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Die Wohnwagen der Deportierten wurden in den Folgetagen verbrannt. Nur ein kleiner Teil der Sinti aus Veltenhof überlebte die Konzentrationslager.“

Entstehung

Die Initiative zur Errichtung der Gedenktafel ging von Schülerinnen und Schülern der Nibelungen-Realschule im Braunschweiger Siegfriedviertel aus. Auf Anregung und unter Anleitung der Schulsozialarbeiterin Simone Weiss und des Geschichtslehrers Lorenz Meyer beschäftigten sich ab September 2017 insgesamt 22 Schülerinnen und Schüler aus vier zehnten Klassen im Rahmen des Wahlpflichtkurses Geschichte mit der Verfolgung der Sinti in Braunschweig und stellten dazu eigene Forschungen an.  Anlass dazu war der bevorstehende 75. Jahrestag der DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. von Sinti und Roma nach Auschwitz im Jahr 1943. Unterstützt wurde das Projekt von der lokalen Politik und Verwaltung sowie vom Veltenhofer Heimatpfleger Bernd Maul und dem Leiter der Gedenkstätte Schillstraße und Geschäftsführer des Arbeitskreises Andere Geschichte Braunschweig, Frank Erhardt.

Die Schülerinnen und Schüler entwarfen zunächst einen Text für eine neue Tafel in der Gedenkstätte Schillstraße. Daraus entstand die Idee, den historischen Ort des Zwangslagers in Veltenhof durch eine Informationstafel zu kennzeichnen. Bestärkt wurde diese Initiative durch den Stadtbezirk Veltenhof-Rühme und den Arbeitskreis Andere Geschichte. Frank Ehrhardt formulierte einen Textvorschlag, der als Grundlage für anschließende Abstimmungen mit Braunschweiger Sinti und der Stadtverwaltung diente. Finanziert wurde die Tafel aus Mitteln des Fachbereichs Kultur der Stadt Braunschweig.

Anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation der Braunschweiger Sinti wurde am 3. März 2018 zunächst im Rathaus an der Gedenkstätte für die Braunschweiger Sinti und Roma der Opfer gedacht. Die Feierlichkeit fand im Beisein des Oberbürgermeisters Ulrich Markurth und in Anwesenheit zahlreicher Braunschweiger Sinti statt. Schülerinnen und Schüler der Nibelungen-Realschule lasen dabei die Namen der Opfer vor. Im Anschluss wurde die Erinnerungstafel am Ort des ehemaligen Zwangslagers im Beisein von Bürgermeisterin Annegret Ihbe, Bezirksbürgermeister Carsten Degering-Hilscher und zahlreichen Mitgliedern des Stadtbezirksrates Veltenhof-Rühme der Öffentlichkeit übergeben. Zwei Schülerinnen hielten dabei eine Ansprache über die Geschichte der Braunschweiger Sinti und die Arbeit ihres Geschichtskurses. Aufgrund des gefrorenen Bodens konnte die Tafel allerdings nur provisorisch aufgestellt werden. Die finale Aufstellung mit einer Verankerung erfolgte schließlich am 13. April.

Das außergewöhnliche Engagement der Schülerinnen und Schüler wurde am 10. März 2018 mit dem erstmals bundesweit ausgeschriebenen Margot-Friedländer-Preis auszeichnet. Bei dem Wettbewerb wurden Jugendliche dazu aufgerufen, sich mit dem Holocaust, seiner Überlieferung und Zeitzeugen in interaktiven Projekten auseinanderzusetzen und sich gegen heutige Formen von Antisemitismus, RassismusRassismus Rassismus ist eine Form von Diskriminierung, bei der Menschen nicht als Individuen, sondern als Teil einer einheitlichen Gruppe mit bestimmten (meist negativen) Merkmalen und Charaktereigenschaften angesehen werden. Durch Rassismus wurden und werden Menschen aufgrund der realen oder vorgestellten Zugehörigkeit (beispielsweise zu einer Volksgruppe, Nationalität etc.) oder aufgrund äußerer Merkmale, einer bestimmten Religion oder Kultur vorverurteilt, ausgegrenzt, benachteiligt, unterdrückt, gewaltsam vertrieben, verfolgt und ermordet. und Ausgrenzung einzusetzen. Als einer der drei Gewinner erhielt die Braunschweiger Gruppe den mit 1.000 Euro dotierten zweiten Preis aus der Hand der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer und des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble.

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Arbeitskreis Andere Stadtgeschichte (Hrsg.): Rundbrief 1/2018, 75. Gedenktag zur Erinnerung an die Deportation der Sinti aus Niedersachsen
Mentasi, Karsten: Erinnerung an die Deportation hunderter Braunschweiger Sinti, Wolfenbütteler Zeitung vom 3.3.2018
Ders.: Margot-Friedländer-Preis für Nibelungen-Realschüler, Wolfenbütteler Zeitung vom 12.3.2018
Ders.: Gedenktafel über Sinti in Veltenhof steht jetzt, Wolfenbütteler Zeitung vom 18.4.2018
Stadt Braunschweig: Pressemitteilung: Stadt gedenkt des 75. Jahrestages der Deportation Braunschweiger Sinti am 3. März

https://www.nibelungen-realschule.de/index.php/32-neuigkeiten/295-wpk-geschichte-enthuellt-gedenktafel-fuer-verfolgte-braunschweiger-sinti am 5.1.2023

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