Gevelsberg, Rathausplatz

Denkmal zur Erinnerung an die Gevelsberger Opfer des Nationalsozialismus
  • Gesamtansicht des Denkmals (Foto: Andreas Pflock)
  • Blick auf den 2021/22 neugestalteten Rathausplatz (Foto: Andreas Pflock)
  • Aufgang zum Rathausplatz mit Standort des Denkmals (Foto: Andreas Pflock)
  • Ansprache von Roman Franz, Vorsitzender des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma NRW, während der Denkmalseinweihung (Foto: Heinz Müller)
  • Bürgermeister Claus Jacobi bei einer Kranzniederlegung 2020 (Foto: Stadt Gevelsberg)
  • Inschriftenplatte mit Widmungstext vor dem Denkmal (Foto: Andreas Pflock)
  • Detailansicht (Foto: Andreas Pflock)
  • Detailansicht (Foto: Andreas Pflock)
  • Detailansicht (Foto: Andreas Pflock)

Kurzinformation

Denkmal zur Erinnerung an die Gevelsberger Opfer des Nationalsozialismus

Beschreibung

Das Denkmal, welches u.a. an die – nach heutigem Forschungsstand – vermutlich 65 nach Auschwitz deportierten Gevelsberger Sinti und Roma erinnert, befindet sich unmittelbar vor dem Rathaus im Stadtzentrum und etwa 700 Meter südlich des örtlichen Bahnhofs.

Die Künstlerin Ulle Hees erläuterte zu der von ihr gestalteten Stahl-Stele:
„Den Betrachter soll diese Stele zu Respekt, Solidarität und Wachsamkeit sowie zum Nachdenken über das eigene Verhalten gegenüber Mitmenschen auffordern. Die abgeschlagenen Köpfe und Feuer symbolisieren am Fuß der Stele das Grauen des nationalsozialistischen Systems, darüber erheben sich Symbole der verfolgten Gruppen: eine jüdische Menora (siebenarmiger Leuchter), eine Gitarre für Musik der Sinti und Roma, eine Menschengruppe unter einer Fahne für die politisch Andersdenkenden. Zwei große Durchbrüche in den Stahlplatten ermöglichen, in allen Richtungen wachsam zu schauen. Silhouetten von Köpfen blicken wachsam in die Umgebung, stehen gleichzeitig für die Zukunftschancen, die sich aus Versöhnung ergeben. Sie stehen für das Unrecht, sind sozusagen darauf gegründet, da wirkliche Versöhnung voraussetzt, dass gewesenes Unrecht klar erkannt und beim Namen genannt wird. Über allem erhebt sich ein Schwarm Vögel, fliegt in die Freiheit, zeigt, dass der Weg in die Zukunft von Hoffnung auf ein menschliches Zusammenleben getragen ist“.

Vor dem Denkmal befindet sich eine Bronzeplatte mit folgender Inschrift:
„Wachsamkeit und Erinnerung
Erinnerung an die während des Nationalsozialismus ermordeten, vertriebenen und erniedrigten Menschen dieser Stadt – Menschen jüdischen Glaubens, Roma, politisch Verfolgte und Zwangsarbeiter – Mahnung zu Wachsamkeit in Gegenwart und Zukunft
Ulle Hees 2004“

Entstehung

Die Initiative für das Denkmal ging von den Mitgliedern des Antifaschistischen Arbeitskreises Gevelsberg aus. Dieser engagierte sich bereits seit 1983 intensiv bei der Aufarbeitung lokalhistorischer Zusammenhänge der NS-Zeit und stieß dabei auf die bis dahin verdrängte Geschichte der Sinti und Roma in Gevelsberg und ihre DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. nach Auschwitz im März 1943. Bereits 1990 wurde ein Bürgerantrag zur Schaffung eines Denkmals für die Deportierten und Ermordeten an den Rat der Stadt Gevelsberg gestellt. Diese bundesweit frühe Initiative wurde in den folgenden Jahren durch zahlreiche Aktivitäten gestützt. Ab 1990 wurden regelmäßig unter dem Titel „StattRundfahrt Spurensuche“ alternative Rundfahrten zu Spuren und Orten des Nationalsozialismus im Stadtgebiet organisiert und u.a. mit Jugendlichen und Schüler*innen durchgeführt. Durch die guten Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Schüler*innen entstand schließlich die Idee, ein Hörspiel zur Verfolgung der Sinti und Roma zu konzipieren und umzusetzen. Jugendliche der Klasse 9c an der Gevelsberger Hauptschule „Alte Geer“ realisierten 1996 dieses beeindruckende Hörspiel unter dem Titel „Was war, musst Du vergessen“. Durch die Vielfalt der Auseinandersetzungsformen gelang es, die Thematik der Verfolgung von Sinti und Roma in der Lokalgeschichte wie auch der Gesellschaft zu etablieren. Davon zeugt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass der Gevelsberger Heimatverein in seinem 2021 erschienenen Jahrbuch zum 75. Vereinsjubiläum der Verfolgung von Sinti und Roma einen Aufsatz des Historikers Ulrich Opfermann widmete.

Für die Realisierung eines Denkmals schuf die Wuppertaler Künstlerin Ulle Hees zunächst einen Entwurf für eine Bronzeplastik mit dem Titel „Fingerzeig der Geschichte“. Dargestellt werden sollte eine zusammengekauerte Menschengruppe unter einem überdimensionalen Stempel, der sie zu erdrücken drohte. Für die Realisierung sammelte der Arbeitskreis bis zum Jahr 1995 Spenden in Höhe von 6.000 DM und verkaufte zudem Kassetten des Hörspiels zugunsten des Denkmals. Es gelang jedoch nicht, den für die Realisierung der Plastik benötigten Betrag von 30.000 DM einzuwerben. Größere Zuschüsse von Sponsoren blieben aus, und auch die Stadt wollte sich angesichts leere Haushaltskassen nicht finanziell an dem Projekt beteiligen. Obwohl der Spendenbetrag weiter anwuchs, standen Anfang des neuen Jahrtausends nur rund 10.000 Euro für eine Realisierung zur Verfügung.

Offen war zudem auch der Standort des Denkmals. Entlang des Deportationswegs konnte kein geeigneter Platz gefunden werden und der Sammel- und Verhaftungsort (auf dem Areal des Waldheims Stüting) erwies sich für eine breite öffentliche Wahrnehmung zu abgelegen. So entwickelte der Arbeitskreis schließlich die Idee, an einem zentralen Ort in der Stadt ein Denkmal zu schaffen, dass zugleich an alle Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus erinnern sollte. Bedingt durch die immer noch nicht ausreichenden Finanzmittel wurde die Gestaltung einer Bronzeskulptur verworfen. Stattdessen schlug Ulle Hees eine Stahlstele vor, die durch ihre Gestaltung Aspekte wie u.a. Erinnern, Aufrufen zur Wachsamkeit sowie Offenheit für Versöhnung ausdrücken sollte. Auf Grundlage eines entsprechenden Entwurfs wurde im Sommer 2003 dem örtlichen „Runden Tisch gegen Gewalt“ vorgeschlagen, das Denkmal nun endlich zu verwirklichen. Der Stadtrat befürwortet einstimmig die Realisierung und den zentralen und öffentlich gut wahrnehmbaren Standort vor dem Rathaus.

Die feierliche Einweihung des Denkmals fand in Erinnerung an den Jahrestag der Deportation der Sinti und Roma in Anwesenheit des Bürgermeisters Dr. Klaus Solmecke, von Mitgliedern des Arbeitskreises Antifaschismus, des Vorsitzenden des nordrhein-westfälischen Landesverbands der Sinti und Roma, Roman Franz, und zahlreicher Gäste statt. Roman Franz betonte in seinem Grußwort: „Wir sehen das Mahnmal aber nicht als Anklage, sondern als Hindernis gegen das Vergessen und Verdrängen.“

Nach der Neugestaltung des Vendômer Platzes und des Rathausplatzes 2021/2022 wurde das Denkmal am ursprünglichen Standort wieder aufgestellt. Von dort aus weist es unübersehbar Passanten und Rathausgäste auf die mehr denn je wichtige Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus hin.

Gestaltung

Das Denkmal wurde von der Düsseldorfer Bildhauerin Ulle Hees geschaffen. Die Künstlerin wurde am 19. März 1941 in Wuppertal geboren. Sie studierte zunächst Bildhauerei an der Werkkunstschule Wuppertal und ging 1958 an die Akademie der Bildenden Künste nach München. Ab 1961 folgten drei Jahre an der Accademia Nazionale dei Lincei in Rom. 1964 kehrte Ulle Hees in ihre Heimatstadt Wuppertal zurück, in der sie bis zu ihrem Tod am 9. Juli 2012 lebte und arbeitete.

Ulle Hees wurde durch eine Fülle von Skulpturen und Plastiken in Wuppertal und im näheren Umkreis bekannt. Zu ihren Werken zählen u.a. die Skulpturen der einheimischen Originale Zuckerfritz und Mina Knallenfalls in Wuppertal-Elberfeld, die Bronzeplastik „Ja-Sager und Nein-Sager“ in Wuppertal-Barmen, das Mahnmal zur Erinnerung an die Gewerkschaftsprozesse vor dem Wuppertaler Landgericht sowie der Bandwirkerbrunnen in Remscheid-Lüttringhausen. Über ihr bildhauerisches Schaffen hinaus betätigte sich Ulle Hees auch als Fotokünstlerin, Lithografin und Kunstpädagogin. Im Jahr 2000 war sie Preisträgerin der Enno und Christa Springmann-Stiftung.

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Antifaschistischer Arbeitskreis Gevelsberg (Hrsg.): Was war, dass musst du vergessen. Dokumentation zum Hörspiel des antifaschistischen Arbeitskreises Gevelsberg, Gevelsberg 1996.
Küster, Rita/Schönenberg, Erik (Hrsg.): Ulle Hees – Erzählte Geschichte – Plastiken im öffentlichen Raum, Wuppertal 2011.
Kappel, Rolf/Prostka, Jörg: Von Gevelsberg nach Auschwitz, in: Gevelsberger Berichte 5 (1994), herausgegeben vom Gevelsberger Heimatverein, Gevelsberg 1994.
Opfermann, Ulrich: Zur NS-Verfolgung der Roma-Minderheit in Gevelsberg und Nachbarschaft, in: Gevelsberger Berichte. 75 Jahre Gevelsberger Heimatverein e.V. (2021), herausgegeben vom Gevelsberger Heimatverein, Gevelsberg 1991.

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