Frankfurt, Löherstraße

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familie Adler
  • Ansicht der Stolpersteine für die Familie Adler (Foto: Andreas Pflock)
  • Straßenschild neben der Dreikönigskirche (Foto: Andreas Pflock)
  • Blick in die Löherstraße (Foto: Andreas Pflock)
  • Wendeplatz am Ende der Löherstraße (Foto: Andreas Pflock)
  • Stolpersteine im Pflaster vor dem Wendeplatz (Foto: Andreas Pflock)
  • Ansicht der Stolpersteine für die Familie Adler (Foto: Andreas Pflock)
  • Verlegung der Stolpersteine (Foto: Initiative Stolpersteine Frankfurt)

Kurzinformation

Stolpersteine zur Erinnerung an die Sinti-Familie Adler

Beschreibung

Die Stolpersteine für die Familie Adler befinden sich im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, rund 400 Meter vom Eisernen Steg am südlichen Mainufer und in unmittelbarer Nähe zur Dreikönigskirche. Sie wurden in der Nähe ihrer Wohnung in der damaligen Löherstraße 2 verlegt.

Reinhard Adler, der als Postbeamter arbeitete, zog im Jahr 1938 mit seiner Frau Margarethe und seinen sieben Kindern in die Löherstraße. Im Jahr 1941 wurde die gesamte Familie zunächst in das ZwangslagerZwangslager Nationalsozialistische Zwangslager für Sinti und Roma (häufig auch als „Zigeunerlager“ bezeichnet) entstanden ab Mitte der 1930er Jahre in zahlreichen deutschen Großstädten, wie u.a. in Köln, Düsseldorf, Fulda, Hamburg, Hannover, Köln und Magdeburg. Ihre Planung, Errichtung und ihr Betrieb gingen auf Initiativen kommunaler Behörden zurück. Die Lager waren meist polizeilich bewacht und dienten der Konzentration und Erfassung von Sinti und Roma, ihrer Rekrutierung als Zwangsarbeitskräfte sowie der Trennung der Insassen von der sogenannten "Volksgemeinschaft". Mit der zunehmenden Radikalisierung der Verfolgungsmaßnahmen dienten die Zwangslager letztendlich als Sammellager für die Deportationen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dieselstraße gebracht, dann gegen Ende des Jahres in das Zwangslager Kruppstraße.

Dort starb der Sohn Rolf Adler im Alter von 11 Jahren bei einem Zwangsarbeitseinsatz. Anfang 1942 wurde die Familie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Nur die ältesten drei Geschwister der Familie, Wanda, Heinz und Herbert (Ricky) überlebten den VölkermordVölkermord Bezeichnung für die vorsätzliche Ermordung, Ausrottung oder anderweitige Vernichtung von Volksgruppen aufgrund ihrer vermeintlich rassischen, ethnischen oder sozialen Merkmale, ihrer Nationalität oder religiösen Überzeugungen. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen einen völkerrechtlichen Vertrag über die Verhütung und die Bestrafung von Völkermorden. an den Sinti und Roma. Vor allem Herbert (Ricky) Adler war später viele Jahre als Zeitzeuge aktiv und engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma.

Die Stolpersteine bestehen aus Betonsteinen mit verankerten ca. 10 x 10 cm großen Messingplatten und tragen die folgenden mit Schlagbuchstaben eingehämmerten Inschriften:

„Hier wohnte Reinhold Adler, Jg. 1898, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Margarethe Adler, geb. Braun, Jg. 1909, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Wanda Michaelis, geb. Adler, Jg. 1924, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, Auschwitz befreit/überlebt“
„Hier wohnte Gisela Adler, Jg. 1925, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Heinz Adler, Jg. 1927, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, Auschwitz befreit/überlebt“
„Hier wohnte Herbert Adler, Jg. 1928, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, Auschwitz befreit/überlebt“
„Hier wohnte Rolf Adler, Jg. 1931, 1941 Lager Dieselstraße, tot 3.11.1942, Lager Kruppstraße“
„Hier wohnte Gertrud Adler, Jg. 1937, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz“
„Hier wohnte Ursula Adler, Jg. 1938, 1941 Lager Dieselstraße, deportiert 1943, ermordet in Auschwitz“

Entstehung

Die Verlegung der Stolpersteine erfolgte u.a. in Anwesenheit der beiden Kinder von Heinz Adler, Simone Weiss und Thomas Adler, des Vorstandsmitglieds des hessischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, Alexander Turbanisch, und Kindern und Erzieherinnen der angrenzenden Kindertagesstätte. Die Zeremonie wurde vom Jugend-Musik-Ensemble Sachsenhausen musikalisch umrahmt.

Barbara Becker, die Leiterin der Tagesstätte, erinnerte in ihrer Ansprache:
„Es geschah nicht nur weit weg in Auschwitz, Majdanek oder Theresienstadt. Es ist hier geschehen, hier in unserer Löherstraße, in unserer Nachbarschaft, in unmittelbarer Nähe zur Dreikönigskirche. Wir sprechen für die Dreikönigsgemeinde und die evangelische MainKiTa. Hier spielten die Kinder der Familie Adler, kickten Fußball und waren mit den anderen Kindern die ‚Löhergaß-Clique‘. Eine ganz normale Familie. Bis zu dem Tag, an dem die Kinder von der Gestapo aus dem Schulunterricht heraus, der Vater von seiner Arbeitsstelle auf der Post abgeholt wurden. Dann war die ganz normale Nachbarsfamilie Adler von einem Tag auf den anderen verschwunden. Erst interniert. Dann deportiert nach Auschwitz. Nur drei Familienmitglieder überlebten. Eine junge Familie, als sie deportiert wurden: Die Eltern 45 und 40 Jahre alt. Die Kinder Teenager, die jüngsten Kinder sechs und fünf Jahre alt – sie hätten hier in die MainKiTa gehen können.

Mich beschäftigt die ungewisse Frage: Was für ein Nachbar wäre ich gewesen? Im Alten und Neuen Testament steht das Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Unser Nächster ist auch unser Nachbar, dessen Wohl und Wehe uns ans Herz gelegt ist. Ricky Adler hat als Zeitzeuge nach dem 2. Weltkrieg, nach dem Ende des Nazi-Terrors geschrieben: ‚Wenn wir alle zusammenhalten, wenn wir uns die Hände reichen und nicht darauf achten, welcher Generation oder Abstammung, Herkunft wir sind, ob Sinti, Roma, Jude, Türke, Grieche, Italiener, Belgier oder was auch immer – wenn wir uns die Hand reichen und sagen, wir wollen so etwas nie wieder erleben, glaube ich, dass wir es auch erreichen. Unsere Kraft wird es jedem vermitteln, wenn wir zusammenstehen und einer auf den anderen achtet.‘ In ehrendem Gedenken an die Familie Adler, Eure Nachbarn von der Dreikönigsgemeinde und der Main-Kindertagesstätte.“

Die „Stolpersteine“ sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Sie gehen u.a. auf zwei Aktionen zurück, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma standen. Anlässlich des 50. Jahrestags der ersten DeportationDeportation Bezeichnung für die zwangsweise Um- oder Aussiedlung von Menschen aus ihren Wohngebieten, zum Teil unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Während der NS-Zeit wurden ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Sinti und Roma zunächst aus dem Deutschen Reich, dann auch aus dem übrigen Europa, in Sammellager, Gettos und Konzentrations- oder Vernichtungslager in die besetzten Ostgebiete deportiert und dort ermordet. Oft wurde dies auch zur Tarnung als "Evakuierung" bezeichnet. der Kölner Sinti und Roma im Mai 1940 zeichnete Gunter Demnig 1990 eine Kreidespur von ihren Wohnorten bis zum Sammellager in den Kölner Messehallen. Am 16. Dezember 1992 verlegte der Künstler vor dem Alten Kölner Rathaus eine Messingplatte im Pflaster. Sie erinnerte an den 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma in das KZKonzentrationslager Konzentrationslager (kurz: KZ oder KL) waren das wichtigste Instrument der NS-Terrorherrschaft. Erste Lager entstanden schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, anfangs noch in u.a. leeren Fabrikgebäuden, ehemaligen Gefängnissen und Kellergewölben. Bis Kriegsbeginn wurden sieben Konzentrationslager errichtet, bis Ende des Krieges waren es 22 Hauptlager mit weit über 1.000 Außenlagern und Außenkommandos. Alle, die von den Nationalsozialisten zu weltanschaulichen, religiösen und „rassischen“ Gegnerinnen und Gegnern erklärt worden waren, sollten dort inhaftiert werden. Darunter befanden sich vor allem Juden, Sinti, Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialisten und andere politische Gegner. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Haftbedingungen weiter und die Ermordung der Gefangenen wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte bis zur völligen Erschöpfung oder bis zum Tod für die Kriegswirtschaft ausgenutzt werden. Die SS bezeichnete dies als "Vernichtung durch Arbeit". Auschwitz-Birkenau.

1996 verlegte Gunther Demnig die ersten Stolpersteine in Berlin. Mit den im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt oder ermordet wurden.  Die Stolpersteine werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Verfolgten in den Gehweg eingelassen. Bis heute erinnern über 75.000 Steine in Deutschland und 23 weiteren europäischen Ländern an Opfer des Nationalsozialismus. Damit sind die Stolpersteine zum größten dezentralen Mahnmal der Welt geworden.

Gestaltung

Gunther Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Abitur im Jahr 1967 studierte er zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Berlin und Kunstpädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Dort legte er das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern „Bildende Kunst“ und „Werken“ ab. Nach einem Studium „Freie Kunst“ an der Universität Kassel von 1974 bis 1977 arbeitete er zunächst im Bereich der Denkmalsanierung sowie zwischen 1980 und 1985 als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Universität Kassel.

Seit 1985 unterhält er ein Atelier in Köln. Gunter Demnig ist seit 1987 Mitglied im Internationalen Künstlergremium. Dieser Zusammenschluss von Künstlern, Kuratoren und Kritikern setzt sich für Kunst-, Informations- und Pressefreiheit sowie für kulturelle Selbstbestimmung, Toleranz und kulturelle Vielfalt ein. Nach den Aktionen zur Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma in den Jahren 1990 und 1992 entwarf Gunther Demnig 1993 das Projekt „Stolpersteine“. 1996 fand die erste Steinverlegung in Berlin-Kreuzberg statt, die zu dem Zeitpunkt noch nicht genehmigt war und erst später legalisiert wurde.

Für sein Projekt „Stolpersteine“ erhielt Gunther Demnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2004 die Herbert-Wehner-Medaille der Gewerkschaft ver.di, 2006 den Bertini-Preis der Stadt Hamburg und 2011 die Otto-Hirsch-Medaille der Stadt Stuttgart. Im Jahr 2008 wurde er mit dem Titel „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Gunther Demnig lebt in Frechen bei Köln.

Internetseite von Gunter Demnig

Quellenangaben

Archiv Dokumentations- und Kulturzentrum, Heidelberg: Sammlung Gedenkorte

Hesse, Hans: Stolpersteine. Idee, Künstler, Geschichte, Essen 2017.
Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main (Hrsg.): 9. Dokumentation 2011, Frankfurt 2012, S. 63f.
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hrsg.): Stolpersteine. Gunter Demnig und sein Projekt, Köln 2007.

Wir danken der Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main e.V. für die freundliche Nutzungserlaubnis der Abbildung von der Stolpersteinverlegung.

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